D a s   L i b e r a l e   T a g e b u c h

Sammlung Originaldokumente aus „Das Liberale Tagebuch“, http://www.dr-trier.de  

 

 

Marco Buschmann im Bundestag
zu den Gorleben-Krawallen


10. November 2010

 

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung vorweg: Herr Kollege Miersch, Vernunft misst sich nicht in Dezibel.

 

Jetzt zur Sache. Selbstverständlich hat jeder das Recht, zu demonstrieren und auf die Straße zu gehen. Die Versammlungsfreiheit ist unverzichtbar für die liberale Demokratie. Deshalb rufe ich jedem friedlichen Demonstranten im Wendland zu: Ich bin zwar nicht eurer Meinung, aber selbstverständlich würde ich alles dafür tun, dass ihr eure Meinung stets sagen dürft. Das ist doch gar keine Frage. Das sage ich aber natürlich nur den friedlichen Demonstranten. Das gebietet der Vorbehalt, unter dem die Versammlungsfreiheit nach unserer Verfassung steht. Art. 8 Grundgesetz spricht eine deutliche Sprache: Demonstrieren darf man nur friedlich und ohne Waffen.

 

Wer sich die Bilanz dieses Wochenendes anschaut, sieht, dass nicht nur friedlich und ohne Waffen demonstriert wurde. Es ist nicht friedlich, wenn ein Polizeifahrzeug in Brand gesteckt wird, und es ist auch nicht friedlich, wenn über 130 Polizistinnen und Polizisten verletzt werden. Das kann man nicht ernsthaft sagen. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Einsatzkräften bedanken und vor allen Dingen den Verletzten schnelle und vollständige Genesung wünschen. Ich hoffe, ich kann das im Namen des gesamten Hauses tun.

 

Denen, die für diese Verletzungen verantwortlich sind, möchte ich eines sagen: Nichts zieht Ihr politisches Anliegen so sehr in den Schmutz wie das Verletzen von Menschen, die ihren Job machen, indem sie Recht und Gesetz verteidigen. Ich wiederhole: Nichts zieht Ihr Anliegen mehr in den Schmutz.

 

An dieser Stelle muss gesagt werden: Natürlich waren Recht und Gesetz in Gefahr. Ich nenne nur das Stichwort „Schottern“. Schottern ist kein Volkssport, sondern eine strafbare Handlung. Das ist ein gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr. Das, was ein bisschen technisch und leblos klingen mag – ich höre schon, wie gesagt wird, das sei doch nichts –, ist ein Straftatbestand. Angeblich gehe es letzten Endes darum, Menschenleben zu schützen.

 

Ich möchte Ihnen einmal kurz erläutern, warum ein Straftatbestand vorliegt; schließlich wird immer wieder gesagt, dabei könne nichts passieren, weil die Lokführer vorgewarnt seien und sie nur ganz langsam führen. Am 7. Juni dieses Jahres ist ein Zug mit 11 Stundenkilometern – das ist quasi Schrittgeschwindigkeit – über ein Gleisbett gefahren, bei dem der Schotter entfernt war. Dieser Zug ist entgleist, weil sich die Schienen sofort verformt haben. Züge, die entgleisen, gefährden Menschenleben. Wer etwas tut, was dazu führt, dass Züge entgleisen, der gefährdet Menschenleben. Schottern ist kein Kavaliersdelikt. Schottern ist lebensgefährlich.

 

Jetzt kann man natürlich die Frage stellen: Welchen Vorwurf kann man den Schotterern machen, wenn sogar Mitglieder gesetzgebender Organe zum Schottern aufrufen? Ich gebe zur Kenntnis: Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Lüneburg in mehr als 20 Fällen gegen Mitglieder dieses Hauses und gegen Mitglieder von Landesparlamenten. Es wurde sogar in Räumen des Deutschen Bundestages zu strafbaren Handlungen aufgerufen. Das gebe ich dem Präsidium zur Kenntnis, und ich hoffe, dass die Hauspolizei in solchen Fällen einschreitet. So etwas ist völlig inakzeptabel.

 

Mitglieder gesetzgebender Organe setzen Recht, sie brechen es nicht, und sie rufen auch nicht zum Rechtsbruch auf. Was ist das für eine Gesinnung? Wissen diese Leute denn nicht, welche Gewalt sie dem Rechtsstaat antun, wenn sie Rechtsnormen unter den Vorbehalt ihrer persönlichen Gesinnung stellen? Das hat nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun.

 

All die vorgeschobenen Argumente stimmen nicht. Jeder weiß, dass jeder Castortransport, der heute und in den nächsten zehn Jahren rollt, von jeder Bundesregierung genehmigt würde. Auch ohne eine Reststrommengenausweitung wären die Castortransporte erforderlich oder, wie der abgewählte Bundesumweltminister Trittin gesagt hat, unabweisbar und notwendig.

 

Zum Schluss nenne ich noch ein Stichwort – ich bitte Sie wirklich, in sich zu gehen –: Widerstandsrecht. Das in unserem Grundgesetz verankerte Widerstandsrecht – Art. 20 Abs. 4 – wurde geboren aus der historischen Erfahrung, dass die Nationalsozialisten die Demokratie abgeschafft haben. Wer ernsthaft behauptet, dass ein Energiekonzept, das von einer demokratisch legitimierten Mehrheit dieses Hauses beschlossen worden ist, mit der Abschaffung der Demokratie durch die Nationalsozialisten verglichen werden kann, der hat jeden Bezug zur Realität, zur Verhältnismäßigkeit und zum politischen Anstand verloren.

 

Es bleibt dabei: Friedlich und ohne Waffen ist zu demonstrieren. Wer das nicht tut, ist kein Held. Er ist nicht mutig und auch nicht Avantgarde. Er ist schlichtweg ein Krimineller.