D a s   L i b e r a l e   T a g e b u c h

Sammlung Originaldokumente aus „Das Liberale Tagebuch“, http://www.dr-trier.de

 

 

 

 

Der Mitgliederentscheid zum ESM bei der FDP


FDP-Generalsekretär Christian LIndner am 10.  Oktober 2011 vor Pressevertretern in Berlin zum bevorstehenden Mitgliederentscheid der Partei:


„Wir haben heute die Unterschriften von den Initiatoren unseres Mitgliederentscheides entgegen genommen. Sie sind formal von der Bundesgeschäftsführerin als Leiterin der Bundesgeschäftsstelle entgegen genommen worden. Ich habe die Initiatoren begrüßt und auch kurz darüber informiert, wie das weitere Verfahren ist. Wir werden am 24. Oktober im Bundesvorstand das Verfahren offiziell einleiten. Bis dahin werden die Unterschriften geprüft. Die formalen Voraussetzungen werden dann auch erfüllt sein. Daran habe ich keinen Zweifel. Wir werden dann am 24. Oktober ein Papier des FDP-Bundesvorstandes beschließen. Dann werden beide gemeinsam - also Papier Initiatoren Mitgliederentscheid und Papier Bundesvorstand - an die Partei gesendet werden. Ich gehe davon aus, dass wir bis zur Weihnachtspause das Verfahren abgeschlossen haben.

Wir waren uns im Präsidium einig, dass es jetzt ein Gewinn für die FDP ist, über Europa zu diskutieren. Es ist darüber hinaus auch ein Zeichen von innerparteilicher Demokratie, dass wir diese Möglichkeit in unserer Satzung haben. Es ist übrigens nicht möglich, dass der Bundesvorstand selbst ein solches Verfahren einleitet. Das geht Kraft unserer Satzung nur über die Parteibasis.

Da das Volk in europapolitischen Fragen nicht selbst abstimmen kann, haben die Parteien eine besondere Verantwortung, um für die Verbindung von Politik und Wählerinnen und Wählern zu sorgen. Wir als FDP stellen uns dieser Verantwortung. Wir werden einen breiten Diskussionsprozess mit vielen Veranstaltungen haben. Wir werden auch Bürgerinnen und Bürger einladen zu diesen Veranstaltungen, um mit uns zu diskutieren über den richtigen Weg für Europa. Ich fordere alle anderen Parteien auf, ebenfalls die Öffentlichkeit zu suchen, um nicht nur in Gremien zu beraten, sondern auch die Menschen zu beteiligen. Es sollten alle unserem Beispiel folgen, jetzt eine offene, transparente Diskussion, über diese für die Menschen doch so bewegende Frage zu führen.

In der Sache gibt es Gemeinsamkeiten in der FDP. Wir alle wollen ein Europa der Stabilität. Wir wollen die deutsche Stabilität nach Europa exportieren, nicht fremde Schulden nach Deutschland importieren. Wir wollen ein Europa des Wettbewerbs und der klaren Regeln. Wir wollen kein zentralistisches Europa mit einem Zinssozialismus. Da sind sich alle in der FDP einig. Wir wollen ein Europa, das der liberalen Idee weiter verpflichtet bleibt.

Aber es gibt fraglos, und darüber wird dann zu sprechen sein, Unterschiede zwischen denen, die jetzt diesen Mitgliederentscheid eingeleitet haben und der Linie der FDP der vergangenen zwei Jahre. Das betrifft die Frage: Wie gehen wir mit dieser konkreten Krisensituation um? Wir haben die Situation, dass im Finanzsystem, bei Staaten wie Banken, ein Überdruck entstanden ist. Dieser Überdruck ist durch falsche Politik der Vergangenheit verursacht worden, insbesondere durch die von Rot-Grün zu verantwortenden Aufweichungen des europäischen Stabilitätspaktes. Die Frage ist, wie bringt man jetzt diesen Überdruck im System der Staatenfinanzierung und des Bankensystems raus? Dass der da nicht reingehört, darüber sind wir uns alle im Klaren. Dass sich in der Zukunft kein solcher mehr aufbauen darf, ist die Lehre aus der Schuldenkrise. Aber, wie entfernen wir ihn? Wie lassen wir den Überdruck ab? Unsere Auffassung, das war die Linie der FDP bisher: Wir müssen die Ventile dieses Systems öffnen und kontrolliert den Überduck aus dem Finanzsystem ablassen. Die Initiatoren des Mitgliederentscheides, an der Spitze Frank Schäffler, die wollen die Ventile abschlagen, damit sich der Druck spontan entlädt. Das halten wir für gefährlich. Die Lehman-Krise vor drei Jahren hat gezeigt, welche - auch ungeplanten - Kettenreaktionen damit verbunden sind.

Also: Wir erwarten uns von unserem Mitgliederentscheid die Bestätigung der Handlungsfähigkeit der FDP. Wir fordern unsere Basis auf, uns den Rücken zu stärken für diese verantwortungsvolle Positionierung, die die FDP in der Bundesregierung einnimmt. Wir wollen den bisherigen europapolitischen Kurs der FDP von unserer Basis bestätigen lassen, denn er ist verantwortungsbewusst. Er setzt auf ein wettbewerbliches, stabiles Europa und nicht auf eine Schuldenunion. Dahinter wird sich unsere Basis versammeln können.“

Auf eine Nachfrage zum Alternativantrag:

„Es wird ein Papier des Bundesvorstandes sein. Der Bundesvorstand kann Kraft der Verfahrensordnung bei einem Mitgliederentscheid ein eigenes Papier als Alternative zur Abstimmung stellen. Das sind keine Einzelautoren oder Einzelinitiativen, sondern das ist der Bundesvorstand. Weil Sie den Namen Hans-Dietrich Genscher genannt haben: Er gehört als Ehrenvorsitzender dem Bundesvorstand qua Amt an und würde ein solches Papier gegebenenfalls unterstützen.“

Auf Nachfrage zum möglichen Ausgang des Mitgliederentscheids:

„Die Unterschriften sind fünf Prozent. Bei den Regionalkonferenzen gibt es viele, die sich melden, die sagen, ich gehöre auch zu den Mitgliedern für den Entscheid, aber ich teile nicht alles in der Sache, ich finde nur gut, dass wir mal ein Verfahren haben, wo wir das besprechen können. Insofern bin ich da außerordentlich sicher, weil die FDP eine Partei in Regierungsverantwortung ist und eine vertretbare und verantwortbare Position bezieht. Das wissen unsere Mitglieder genauso. Die Veranstaltungen, die ich gemacht habe, die haben gezeigt, dass es große Verunsicherung in der Europafrage gibt. Dass die Partei aber einerseits einen Weg ablehnt, der auf einen Zinssozialismus hinausläuft mit Eurobonds und zentralistischer Wirtschaftsregierung, wie er von der europäischen Linken bis hin zu SPD und Grünen vertreten wird. Aber genauso abgelehnt wird eine Politik, die zu einer Kernschmelze des Bankensystems führen würde und die möglicherweise zur Folge hätte, dass wir einen wirtschaftlichen Einbruch hätten, gegenüber dem die Krise nach dem Lehman-Chaos nur ein kleiner Vorgeschmack war. Der pragmatische Mittelweg, Ziel Stabilitätsunion statt Schuldenunion, Wirtschaftsverfassung statt Wirtschaftsregierung, mit konkreten Maßnahmen des Krisenmanagements jetzt, unter Beteiligung des Bundestages und privater Gläubiger, also ein Weg der europa- und wirtschaftspolitischen Vernunft, bei dem die FDP Meinungsführerschaft beanspruchen kann, auf der anderen Seite sich aber auch nicht politisch isoliert – ein solcher Werg hat bei den Veranstaltungen, die ich besucht habe und wo ich diskutiert habe, die Mitglieder überzeugt. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass die Ergebnisse, die wir auf Landes- und Bundesparteitagen und in der Bundestagsfraktion hatten, sich auch in der Gesamtpartei widerspiegeln werden.“

Auf Nachfrage zum Vertrauen der Bevölkerung in die Politik:

„Alle, die jetzt entscheiden, haben keine letzte Sicherheit darüber, was uns noch erwartet und welche großen Herausforderungen, was die Stabilisierung des Staatenwesens und des Finanzsystems angeht, noch auf uns zu kommen. Dieses letzte Wissen hat keiner. Deshalb ist es sinnvoll, dass Übertreibungen und die Forderungen nach gewissen Rosskuren nicht Politik Deutschlands werden. Wir haben eine immense Verantwortung als wirtschaftsstärkste Kraft auf diesem Kontinent. Wir müssen ein Anker für Stabilität sein und müssen berücksichtigen, was passiert bei einer falschen Entscheidung. Eine falsche Entscheidung kann für das Weltfinanzsystem unabsehbare Folgen haben. Das ist nicht abstrakt, sondern betrifft auch die Spareinlagen der Sparer in Deutschland, das betrifft Altersvorsorge, das betrifft Arbeitsplätze. Und deswegen ist das kein Schauplatz für irgendwelche Selbstverwirklichungsphantasien von Politikern, jetzt einfach mal schnell einen großen Wurf zu machen. Jetzt geht es darum eine verantwortliche Position zu finden. Da muss man möglicherweise schrittweise prüfen, welche Auswirkungen hat was, was ist möglich. Auch wenn das für uns alle eine Strapaze bedeutet. Auch wenn das immer wieder erforderlich macht, sich um die Einzelnen zu bemühen, sich um die Bürger zu bemühen, mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Darüber sind wir uns in der FDP im Klaren.

Ich beziehe da ausdrücklich Frank Schäffler und die Initiatoren mit ein, denen es auch darum geht, einen verantwortungsvollen Weg für Europa zu finden. Es gibt in der FDP keine Europaskeptiker. Damit das ein für allemal gesagt ist, weil in den Fragen, die mir gestellt werden, in den Interviews und auch in den Antextern und sendenden Medien die Rede ist von ,Euroskeptikern in der FDP’, ,Euro-Rebellen’, ,Geht die FDP einen populistischen Kurs?’ - das ist alles Mumpitz. Ich bin 17 Jahre in der FDP tätig. Ich habe nicht einen einzigen echten Europagegner getroffen. Hier geht es um die Frage: Ist der ESM ein richtiges Instrument? Und hier gibt es eine Gruppe, die sagt: nein. Wenigstens suchen die die Entscheidung in der Partei. Wir beziehen unsere Parteibasis mit ein. Das ist eine Stärke und das Ergebnis wird sein, dass wir umso mehr Klarheit haben über den Kurs.“