D a s   L i b e r a l e   T a g e b u c h

Sammlung Originaldokumente aus „Das Liberale Tagebuch“, http://www.dr-trier.de

 

 

 

 

Der Brexit wäre nicht das Ende der EU

2. Juni 2016

Alexander Graf Lambsdorff im Interview mit dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Ausgabe vom 3.6.2016). Die Fragen stellte Marina Kormbaki:

Frage: Tut die EU-Kommission, tut die Kanzlerin genug, um die Briten von einem Verbleib in der EU zu überzeugen?

Lambsdorff: Die Briten müssen das selbst entscheiden. In Großbritannien meinen viele, es sei besser, diese Debatte den Briten zu überlassen – ich teile diese Auffassung. Wahlempfehlungen von europäischen Regierungschefs und EU-Kommissaren sind kontraproduktiv. Das Reformpaket, das sie Premier David Cameron angeboten haben, war das Einzige, was sie tun konnten. Aus dem innerbritischen Wahlkampf sollten sie sich heraushalten.

Frage: Der Ausgang des Votums hätte Folgen für ganz Europa. Warum sollten sich die Kontinentaleuropäer nicht einmischen?

Lambsdorff: Die Mitgliedschaft in der EU ist immer eine nationale Entscheidung. Das akzeptieren wir im Fall der Schweiz, das akzeptieren wir im Fall Norwegens. Mit Großbritannien fragt sich zum ersten Mal ein EU-Land, ob es dabeibleiben möchte. Natürlich hätte ein Austritt Auswirkungen auf den Rest Europas. Aber die EU ist ein Freiheitsprojekt – niemand wird gezwungen dabeizubleiben.

Frage: Wäre es nicht ein eindrucksvolles Signal für ein geeintes Europa, wenn Juncker, Merkel und Hollande am Trafalgar Square in London um die Briten werben würden?

Lambsdorff: Vielleicht. Aber schöner ist doch die Onlinekampagne #HugABrit, bei der einfache Menschen Briten umarmen. Sie findet große Verbreitung in sozialen Netzwerken und zeigt den Leuten auf der Insel, dass wir auf dem Kontinent sie gern dabeibehalten würden. Man darf eines nicht vergessen: Viele Menschen empfinden Empfehlungen von Staats- und Regierungschefs, von Parlamentariern und Kommissaren schnell als Bevormundung. Referenden sind jedoch demokratische Entscheidungen.

Frage: Ist die EU den Briten in den Verhandlungen um den Reformdeal weit genug entgegengekommen?

Lambsdorff: Ja. Bei der Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit sogar zu weit. Hier geht es nicht um die Einwanderung von Arbeitslosen in die Sozialsysteme, sondern um Menschen, die Arbeit haben. Sie sollen diskriminiert werden. Damit wird bei einer der europäischen Grundfreiheiten eine Notbremse eingeführt. Die FDP hat das kritisiert, denn das könnte andere EU-Länder dazu veranlassen, ihrerseits Freiheiten einschränken zu wollen. Es droht eine Erosion des EU-Binnenmarkts und damit unseres Wohlstands.

Frage: Wäre der Brexit eigentlich so schlimm, wie viele befürchten?

Lambsdorff: Ich sehe keinen Anlass zur Panik. Die EU hat ja 16 Jahre lang ohne Großbritannien existiert. Eine EU ohne Deutschland oder Frankreich ist nicht vorstellbar. Eine EU ohne Großbritannien schon, deswegen wäre der Brexit auch nicht das Ende der EU. Klar ist aber auch, dass wir die Briten viel lieber dabeihaben wollen.