D a s L i b e r a l e T a g e b u c h |
Sammlung Originaldokumente
aus Das Liberale Tagebuch, (http://www.dr-trier.de) |
Rede von
Dr.
Dieter Hundt Präsident
der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. Deutscher
Arbeitgebertag 2002 Berlin, 19. November 2002
Einleitung Viele Menschen in unserem Land sind in ernster Sorge. Sie sorgen sich um ihre persönliche Zukunft, sie sorgen sich um die Zukunft unseres Landes. Viele haben das Gefühl, dass es nicht mehr vorwärts geht, dass es
keinen Aufbruch gibt: Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage in Deutschland ist sehr ernst. Im Jahresdurchschnitt sind über vier Millionen Menschen arbeitslos. Für Anfang 2003 rechne ich mit einem weiteren Anstieg auf rund 4,3 Millionen. Die deutsche Wirtschaft tritt mit dem zweiten „Nullwachstum“ von
voraussichtlich 0,2 in diesem Jahr nach 0,6 Prozent im Jahr 2001 auf der
Stelle. Zwei Jahre hintereinander eine Null vor dem Komma - so tief und so
anhaltend war keine wirtschaftliche Talsohle seit 20 Jahren und nirgendwo in
Europa! Mit rund 40.000 Insolvenzen in diesem Jahr rollt auf uns die wohl
größte Pleitewelle der Nachkriegszeit zu. Alle 13 Minuten meldet derzeit ein
Unternehmen in Deutschland Insolvenz an. Die Sozialsysteme stehen mit einem Defizit von insgesamt 15
Milliarden Euro vor dem Kollaps. Ein Haushaltsloch nach dem anderen reißt in den öffentlichen
Kassen von Bund, Ländern und Kommunen auf. Deutschland wird das Defizitkriterium der EU in diesem Jahr mit
rund 3,8 Prozent deutlich überschreiten – und – wie ich befürchte – auch im
nächsten Jahr den Stabilitätspakt verletzen. Gleichzeitig gibt es 17 Mrd. Steuererhöhungen im nächsten Jahr
und mit 8 Mrd. drastische Erhöhungen der Beiträge in den
Sozialversicherungen. Das sind sehr viele schlechte Nachrichten in sehr kurzer Zeit. Es
sind sehr viele schlechte Nachrichten, die auch mir große Sorge machen. Wer mich kennt, weiß, dass ich Optimist bin. Ich bleibe heute im
November 2002 ein - wenn auch sorgenvoller - Optimist, weil ich auf die
vielen Stärken unseres Landes setze. Wir haben die Kraft, die aktuelle Krise zu meistern.
Krisenbewältigung heißt nicht nur die Schwächen zu bekämpfen, sondern vor
allem die Stärken zu mobilisieren: Man muss uns allerdings auch kämpfen und
mobilisieren lassen: ·
Deutschland ist ein
„Technologie-Land“. Die deutschen Unternehmen behaupten sich bei der
Entwicklung von Mittel- und Hochtechnologie an der Spitze des internationalen
Wettbewerbs. ·
Deutschland ist ein
Exportland. Wir haben unsere Stellung als Export-Vizeweltmeister in den
letzten Jahren weiter gefestigt. Der Exportmotor läuft auf vollen Touren. Im
September stieg der Wert der Ausfuhren um 11 Prozent auf 55 Milliarden Euro. ·
Deutschland ist das
Land mit der besten Infrastruktur der Welt. ·
Deutschland hat gut
ausgebildete, motivierte, kreative und fleißige Arbeitnehmer. ·
Deutschland ist das
Land mit einer verantwortungsbewussten Wirtschaft. Die deutsche Wirtschaft steht
zum Standort Deutschland. Die deutsche Wirtschaft ist natürlich internationalisiert und
global orientiert. Aber die Unternehmen wollen hier in unserem Land
produzieren, investieren, Arbeitsplätze schaffen und ausbilden. Wir wollen
nicht aus diesem Land herausgedrängt werden, sondern hier in Deutschland
international wettbewerbsfähig sein. Im internationalen Standortvergleich hat Deutschland binnen eines
Jahres drei Plätze gut gemacht. Deutschland steht heute in der Rangliste des
World Economic Forum auf Platz 14 der wettbewerbsfähigsten Nationen. Aber: 1.
erfolgte diese
Verbesserung trotz stark belastender Rahmenbedingungen. Sie resultiert aus
dem technologischen Fortschritt in deutschen Unternehmen, sie resultiert aus
der Innovationsfähigkeit und Kreativität der Unternehmen und ihrer
Mitarbeiter. Und 2.
Was heißt Platz 14? Wir
wollen in die Spitze, in die Champions-League – mindestens auf den
derzeitigen Tabellenplatz des VfB Stuttgart! Über Deutschland und seine Wettbewerbsfähigkeit gibt es genug
Studien. Ob Arbeitsmarkt- oder Sozialpolitik, ob Bildungs- oder Finanzpolitik
- all dies ist zur Genüge durchleuchtet worden. Nein, wir haben keinen
Erkenntnis-Mangel, wir haben ein Handlungsdefizit! Ich bin dennoch zutiefst überzeugt, dass wir es schaffen können. Wir
müssen uns auf unsere Stärken besinnen. Wir, die Arbeitgeber, wollen auf diesem Arbeitgebertag aller
Resignation einen neuen Aufbruch entgegensetzen. Wir können es schaffen, Arbeitsmarkt Was als Erstes mit großer Priorität und großer Dringlichkeit passieren
muss, ist eine wirkliche Reform des Arbeitsmarktes. Und das heißt
nicht Hartz. In dem am Freitag beschlossenen Hartz-Gesetz stehen ein paar
vernünftige Dinge, aber Vieles, was exakt in die falsche Richtung geht und
die vorhandenen Probleme verschärft. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat in der Anhörung vor
dem Bundestag die Kritik in einem Satz zusammengefasst: Mit diesen Gesetzen
wird kein einziges Problem des Arbeitsmarktes wirklich gelöst und vor allem kein
einziger neuer Arbeitsplatz geschaffen. Unser Arbeitsmarkt bleibt betoniert, mit Beschäftigungshürden und
Hindernissen verriegelt und verriestert. Schnellere Vermittlung, vorübergehend die Erweiterung befristeter
Arbeitsverhältnisse für ältere Arbeitnehmer ist gut. Aber es wird
konterkariert durch neue Bürokratie, neue Zwangskorsette, neue Regulierungen
und neue teure Experimente auf Kosten der Beitragszahler. Wir sind maßlos enttäuscht, was da am vergangenen Freitag im
Bundestag verabschiedet worden ist. Das, was Sie, Herr Minister Clement, jetzt an Veränderungen
vornehmen, ist inkonsequent und steckt voller Widersprüche. Nehmen Sie nur das Beispiel der Zeitarbeit. Das war ja eines der
hoffnungsvoll stimmenden Elemente des Hartz-Konzeptes: Mit weniger Regulierung
diese Flexibilitätsreserve des Arbeitsmarktes kräftig zu mobilisieren. Aber was ist daraus geworden? Trotz aller Warnungen hat die
Koalition das bürokratische und kostentreibende Konzept des „equal pay“ –
also der nahtlosen Übertragung der Entlohnung des Einsatzbetriebes auf die
Zeitarbeitsfirmen - durchgepaukt. Damit wird nach einem Jahr Übergangszeit
alles das, was an anderer Stelle an begrüßenswerter Entbürokratisierung
erreicht wurde, zunichte gemacht. Die Neuregelung wird verheerende Konsequenzen für die
Zeitarbeitsbranche haben – und für die entleihenden Betriebe genauso! Sie
gefährdet Zehntausende von Arbeitsplätzen – Arbeitsplätze, die bisher vielen
Menschen, die zuvor arbeitslos waren, die Chance zum Wiedereinstieg in
Beschäftigung geben. Gerade für die Geringqualifizierten, also die
Problemgruppe des Arbeitsmarktes, ist das ein Schlag ins Gesicht. Für diese
Menschen ist „equal pay“ am Markt nicht realisierbar und die einmalige
6-wöchige Einarbeitungszeit viel zu kurz. Ich halte es auch für abwegig zu glauben, unter den jetzt
geschaffenen Voraussetzungen könnten abweichende Tarifverträge zu
beschäftigungspolitisch akzeptablen Ergebnissen führen. Denn es besteht ein
faktisches Tarifdiktat des Gesetzgebers. Und was für ein Tarifdiktat: Man muss sich das wirklich einmal
für Tarifverhandlungen vorstellen: Das Gesetz sagt, wenn es keinen
Tarifvertrag gibt, gelten die Bedingungen des entleihenden Betriebes. Nicht
nur die Tarifbedingungen, sondern auch alle sonstigen wesentlichen
Bedingungen. „Equal treatment“ nennen das die Fachleute. Für das entleihende Unternehmen heißt das „double pay“. Denn das
Zeitarbeitsunternehmen muss – um kostendeckend arbeiten zu können –
durchschnittlich mehr als das Doppelte des Bruttolohnes des Zeitarbeitnehmers
dem entleihenden Betrieb in Rechnung stellen. Und was bedeutet das jetzt für
Tarifverhandlungen? Die Gewerkschaft kann sich zurücklehnen und sagen: Liebe
Verleiher und Zeitarbeitsunternehmen, wenn Ihr das, was wir Euch vorschlagen,
nicht akzeptiert, dann gilt eben die gesetzliche Regelung – also „equal
treatment“ für die Zeitarbeitsunternehmen und „double pay“ für die
entleihenden Unternehmen. Herr Minister Clement, Es mag ja sein, dass beim ersten Tarifvertrag noch gewisse
Konzessionen möglich sind. Vielleicht eine längere Einarbeitungszeit als
sechs Wochen zur Einarbeitung und auch Tariflöhne auf niedrigerer Basis. Aber
keiner hier im Saal glaubt, dass das vor dem Hintergrund der jetzigen
gesetzlichen Regelung mit den deutschen Gewerkschaften dauerhaft zu machen
ist. Ich befürchte, das Ziel der Gewerkschaften ist ein ganz anderes,
nämlich die Zerstörung der Strukturen der gewerblichen Zeitarbeit und das
Abdrängen dieser Beschäftigungsform in die öffentlich subventionierten
Personalserviceagenturen. Unter diesen gesetzlichen Rahmenbedingungen wird
aber aus der PSA ganz schnell ein milliardenschweres Subventionsgrab. Ich fordere Sie, sehr geehrter Herr Minister Clement, noch einmal
eindringlich auf, diesen arbeitsmarktpolitischen Irrweg zu beenden. Überhören
Sie nicht die deutlichen Worte von Herrn Gerster und erinnern Sie sich daran,
dass auch Herr Hartz und seine Kommission ein ganz anderes Konzept
vorgeschlagen haben. Entlassen Sie die Zeitarbeit in die Freiheit, lösen Sie
die Fesseln, statt sie in neuer lohnpolitischer Regulierung zu ersticken und
ihnen ein tarifpolitisches Zwangskorsett zu verpassen. Das Gesetzeswerk der Koalition ist leider auch darüber hinaus
durchweg geprägt durch Halbherzigkeit und Widersprüchlichkeit: ·
Stichwort Minijobs:
Hier bleibt es bei der unzulänglichen Begrenzung auf die privaten Haushalte. ·
Stichwort ältere
Arbeitnehmer: Hier werden zwar einerseits – wie von den Arbeitgebern
gefordert – durch erweiterte Befristungsmöglichkeiten, Entgeltsicherung und
Beitragsrabatte zusätzliche Beschäftigungsanreize geschaffen. Aber diese
positiven Ansätze werden durch ein neues Frühverrentungsinstrument unter der
Überschrift „Brückengeld“ völlig konterkariert. ·
Stichwort
Transfersysteme: Hier wird zwar die Anrechnung von Einkommen und Vermögen auf
die Arbeitslosenhilfe verschärft. Doch die Verkürzung der Bezugszeiten und
der Abbau versicherungsfremder Leistungen, wie sie ursprünglich von Herrn
Hartz und nach wie vor mit beachtlicher Konsequenz und großer Kompetenz von
Herrn Gerster eingefordert werden, bleiben wiederum gegen bessere Erkenntnis
ausgespart. Die Fehlanreize zum Verbleib in Sozialtransfers bleiben! ·
Stichwort
Freistellungen: Dass nach einer Kündigung des Arbeitgebers der Arbeitnehmer
in angemessenem Umfange während der Arbeitszeit Gelegenheit haben muss, sich
eine neue Stelle zu suchen, ist selbstverständlich und völlig in Ordnung. Auf den Punkt gebracht: Dies ist ein Torso, mit dem die arbeitsmarktpolitische
Reformagenda nicht abgearbeitet, sondern eher verlängert worden ist. Leider bleibt es dabei: Arbeit schaffen wird mit
bürokratischer Gängelung und hohen, staatlich verursachten Kosten belastet. Nicht arbeiten wird
zu lange und vielfach zu hoch subventioniert. Arbeiten und Leistung wird mit steigenden hohen Steuern und
Abgaben belegt. Ich sage: Ein Land, das davon lebt, dass Menschen bereit sind, etwas zu
leisten und Risken einzugehen, kann sich eine solche Politik nicht leisten. Die Koalition, sehr geehrter Herr Minister Clement, wird nicht
umhin kommen, einen grundlegenden Kurswechsel vorzunehmen. Ich schätze Sie
als kompetenten, gesprächsbereiten und starken Politiker. Ich wünsche Ihnen,
sehr geehrter Herr Minister Clement, für diese wahrlich schwierige Aufgabe
nicht nur die richtigen Erkenntnisse. Die können Sie von dem heutigen
Arbeitgebertag mitnehmen. Ich wünsche Ihnen vor allem Mut und politische
Durchsetzungskraft, diese schwierige Aufgabe mit Erfolg zu meistern. Sozialversicherungen Jede Reform auf dem Arbeitsmarkt wird weitgehend verpuffen, wenn
es uns nicht gleichzeitig gelingt, die Lohnzusatzkosten endlich wieder in den
Griff zu bekommen und die Sozialbeiträge unter 40 Prozent zu senken. Ich habe in den letzten Tagen manches Mal gehört: “Die
Finanzprobleme der Sozialversicherung verlangen vor allem eine Besserung auf
dem Arbeitsmarkt.“ Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn der Satz gilt genauso in der
anderen Richtung: Die Probleme auf dem Arbeitsmarkt verlangen Reformen der Sozialsysteme.
Wir brauchen Beitragssenkungen, um den Faktor Arbeit zu entlasten. Sonst
vernichten wir weiter Beschäftigung und damit die Finanzierungsbasis unserer
sozialen Sicherung. Um es ganz deutlich zu sagen: Ohne nachhaltige Strukturreformen
wird unsere Sozialversicherung dieses Jahrzehnt nicht mehr überstehen, weil
sie nicht mehr zu bezahlen sind, weil sie unreformierbar und irreparabel
werden. Alle in diesen Tagen beschlossenen Maßnahmen werden auch diesmal
wieder nur kurzfristige Entlastung bringen und die Probleme langfristig
sogar verschärfen: ·
Wenn der Beitrag für
einen Arbeitnehmer in der Rentenversicherung im kommenden Jahr um bis zu 1620
€ steigt, dann bringt das kurzfristig frisches Geld rein. Langfristig
entstehen aber durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze auch höhere
Rentenansprüche, die in der Zukunft von den Jungen bezahlt werden müssen und
zwar genau dann, wenn die demographischen Lasten des Systems wachsen. ·
Wenn auf den
Notgroschen der Rentenversicherung, die Schwankungsreserve, zurückgegriffen
wird, dann hilft das – aber nur kurzfristig und einmalig, maximal ein Jahr
lang. Spätestens dann ist diese Reserve auch aufgebraucht. Für die Zukunft
ist damit nichts gewonnen. ·
Wenn jetzt der Kreis
der gesetzlich Krankenversicherten zu Lasten der privaten Krankenversicherung
ausgeweitet wird, dann schafft das kurzfristig Entlastung. Bald aber werden
die neu hinzugewonnenen Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung
auch Leistungen in Anspruch nehmen - und dann ist die Entlastung wieder
dahin. ·
Wenn im kommenden Jahr
die Kosten im Gesundheitswesen staatlich eingefroren werden, dann bringt das
kurzfristig Luft. Langfristig steigen die Kosten aber um so mehr, solange
Strukturreformen ausbleiben. Der „offizielle“ Beitragssatz aller Sozialversicherungen liegt
derzeit bei 41,3 Prozent und damit deutlich höher als letztes Jahr. Rechnet man ehrlicherweise all das Geld ein, das zusätzlich in
die Sozialversicherung gepumpt wird, um den Beitragsanstieg in Grenzen zu
halten – damit meine ich vor allem die Ökosteuer – dann ergibt sich für das
kommende Jahr ein „wirklicher“ Beitragssatz von knapp über 45 Prozent. Ich frage: Wie hoch müssen die Beiträge noch steigen, bis wir
durchgreifende und nachhaltige Strukturreformen bekommen? Die Rezepte dafür liegen auf dem Tisch. Wir haben unsere
detaillierten Reformkonzepte präsentiert und wenn die Bundesregierung die
nicht aufgreifen will, dann kann sie gerne auch den Empfehlungen ihrer
eigenen Sachverständigenräte folgen, denn die empfehlen im Wesentlichen das
Gleiche: ·
schrittweise
Konzentration der kollektiv und umlagefinanzierten Sicherung auf dauerhaft
finanzierbare Kernleistungen, d. h. Einsparungen auf der Ausgabenseite und
dadurch Raum für Beitragssenkungen; und parallel dazu ·
Aufbau einer individuellen,
kapitalgedeckten und eigenfinanzierte Risikovorsorge. Das ist der einfache und alternativlose Reformweg für unsere
Sozialversicherung. Nur ein solches Mischsystem ist zukunftsfest, ·
weil es die Vorteile
sowohl des Umlage- als auch des Kapitaldeckungsverfahrens kombiniert und die
jeweiligen Risiken minimiert. ·
weil es weder die
heutige noch die künftige Generation überfordert. ·
weil wir die
Herausforderung einer älter werdenden Gesellschaft bewältigen müssen. Inzwischen
hören wir, setzt sich zumindest in Teilen der Koalition die Einsicht durch,
dass jetzt doch wirklich etwas geschehen muss. Eine neue Regierungskommission
soll eine grundlegende Reform der Renten- und Krankenversicherung
vorbereiten. Ich
sage: Wir brauchen dafür eigentlich keine neue Kommission, zumindest nicht
wegen der Ergebnisse. Aber
dennoch: Wenn die Einsetzung einer Kommission der einzige Weg sein sollte, in
dieser Legislaturperiode zu nachhaltigen Reformen in der Renten- und
Krankenversicherung zu kommen und dazu einen Konsens herzustellen, dann hat
das meine Unterstützung. Insbesondere, wenn dazu ein so qualifizierter
Experte wie Professor Rürup als Vorsitzender bereitsteht. Wir müssen mit der
Reform der Sozialversicherung weiter kommen und sollten deshalb jede Chance
dazu nutzen. Der
Umbau unseres Sozialsystems steht und fällt mit der Frage, ob es uns gelingt,
die private Vorsorge auszubauen. In der Alterssicherung ist mit der
Riester-Rente dazu ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung
bereits gegangen worden. Bei aller
Kritik im Detail, der Grundsatz stimmt: Runter mit der kollektiven Sicherung,
dafür verstärkte Förderung der individuellen privaten und betrieblichen
Vorsorge. Wir
sagen ja zu den neuen Regelungen der Riester-Rente und haben auch Taten
folgen lassen. Wir haben nahezu flächendeckend über Tarifverträge die
Voraussetzungen geschaffen, dass unsere Arbeitnehmer voll von der neuen
Förderung profitieren können. Wir
haben diese Tarifverträge geschlossen, trotz Widerständen und Bedenken im
eigenen Lager. In der Metall-Industrie wurde mit der Metall-Rente sogar
eigens ein neues Versorgungswerk gegründet, was ich auch für absolut richtig
halte. Die Chemie-Industrie, die bei der tariflichen Altersvorsorge eine
Vorreiterrolle beanspruchen kann, hat ihre tariflichen Bedingungen weiter
ausgebaut und optimiert. Und viele andere Tarifbereiche haben gleichfalls
attraktive Regelungen geschaffen. Wir
unterstützen dies, weil wir den freiwilligen Ausbau der privaten und
betrieblichen Vorsorge wollen. Wir haben die krude Idee der „Rente mit 60“
und die Zwangsvorsorge über ein gesetzliches Obligatorium zur Privatvorsorge
erfolgreich verhindert. Wir wollen den Wettbewerb der verschiedenen
Vorsorgewege und nicht die staatliche Einheitslösung. Deshalb
müssen wir jetzt auch weiter dafür werben, dass dieser Weg Erfolg hat. Ich
fordere Sie alle auf: ·
Leisten Sie Ihren Beitrag, dass die neuen Möglichkeiten,
die wir geschaffen haben, auch genutzt werden. ·
Sorgen Sie dafür, dass Ihre Mitarbeiter über die neuen
Vorsorgewege informiert sind. ·
Überzeugen Sie die Zweifler und Zögerer. Mancher meint,
Riester lohnt sich nicht. Im Einzelfall ist das auch richtig. Aber nur, wenn
stattdessen bessere Vorsorgemöglichkeiten genutzt werden. Bei der ergänzenden
privaten Altersvorsorge geht es nicht um das Ob. Wir
alle haben ein ureigenes Interesse, die freiwillige private und betriebliche
Vorsorge voran zu bringen. Wenn
die neuen Vorsorgemöglichkeiten jetzt genutzt werden, dann ist das Thema gesetzliches
Obligatorium in der Vorsorge ein für alle mal vom Tisch. Umgekehrt gilt das
allerdings auch: Scheitert das jetzige freiwillige Vorsorgekonzept, weil
nicht genug Menschen davon Gebrauch machen, können wir die Uhr danach
stellen, dass das Thema gesetzliches Obligatorium wieder auf die Tagesordnung
kommt. Frau Schmidt, die Bundessozialministerin, hat gerade am Wochenende
angekündigt, im Jahre 2008 werde das für die Altersvorsorge neu zu
entscheiden sein. Und
ich werbe so nachhaltig für dieses freiwillige Vorsorgekonzept und die
Unterstützung durch die Unternehmen, weil wir nur mit einem Erfolg des
Konzepts in der Rentenversicherung das gleiche Modell auch für die anderen
Sozialversicherungen propagieren können. Scheitert
es bei der Altersvorsorge, wird es nicht erfolgreich sein, dieses
Grundkonzept für die anderen Sozialversicherung zu übertragen. Steuerpolitik Noch immer fehlt eine klare Entscheidung für eine nachgelagerte
Besteuerung und damit zur Steuerfreiheit der gesamten Altersvorsorge. Das Bundesverfassungsgericht
hat die nachgelagerte Besteuerung ausdrücklich nahegelegt und alle Experten
fordern sie. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung hat letzte Woche in
seinem Jahresgutachten einen sehr konkreten Weg aufgezeigt, wie ein Übergang zur
nachgelagerten Besteuerung erfolgen kann. Dieses Sachverständigengutachten ist übrigens ein hervorragendes
Rezeptbuch für Wachstum, wirtschaftliche Investitionen und Arbeitsplätze. Was der Sachverständigenrat der Bundesregierung aufgeschrieben
und vorgeschlagen hat, findet unsere volle Unterstützung: 1.
Abgabenbelastung der
Arbeit reduzieren, 2.
Absenkung der
öffentlichen Verschuldung, Verringerung der Staatstätigkeit, wirkliche
Konsolidierung des Haushaltes, 3.
Konzentration der
Krankenversicherung auf eine Grundversorgung und Wettbewerb im
Gesundheitswesen, 4.
Abkoppelung der
steigenden Gesundheitskosten vom Arbeitsverhältnis, 5.
Begrenzung des
Arbeitslosengeldes auf 12 Monate, 6.
Zusammenlegung und
Senkung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, 7.
Schaffung eines
Niedriglohnbereichs durch Kombi-Einkommen, 8.
Erweiterung der
befristeten Beschäftigungsverhältnisse, 9.
Vereinfachung,
Einschränkung und Lockerung des Kündigungsschutzes, 10.
gesetzliche Absicherung
betrieblicher Bündnisse für Arbeit, 11.
und vor allem: Statt
Steuererhöhungen, Absenkung der Steuersätze. Das sind die Vorschläge des Sachverständigenrates der
Bundesregierung. Und deshalb appelliere ich von hier aus: Herr Bundeskanzler, wenn Sie schon unseren Vorschlägen, denen der
Arbeitgeber, nicht folgen wollen, so folgen sie doch wenigstens ihrem eigenen
Sachverständigenrat. Setzen Sie dieses Rezept für Wachstum, Investitionen und
Arbeitsplätze um! Nach allen Prognosen wird die deutsche Wirtschaft in der zweiten
Jahreshälfte erneut schrumpfen. In dieser Situation die Steuern zum Jahreswechsel
massiv um 17 Mrd. € zu erhöhen, ist so verkehrt, verkehrter geht es nicht. Jeder Volkswirtschaftsstudent weiß das bereits nach der dritten
Vorlesung: Höhere Steuern sind Gift für die Konjunktur und bedeuten weniger
Investitionen, weniger Konsum, weniger Sparen. In einer Wirtschaftskrise müssen die Steuern gesenkt und nicht
erhöht werden. Die Steuerschraube muss in die andere Richtung gedreht werden,
für mehr Investitionen, größere wirtschaftliche Dynamik und damit auch ein
höheres Wachstum. Tarifpolitik Wenn wir über zu hohe und zusätzliche Belastungen reden, die den
Wirtschaftsabschwung beschleunigen, dann gehören dazu leider auch die
Tarifabschlüsse dieses Jahres. Nach einer vernünftigen Tarifrunde im Jahre 2000 mit vertretbaren
Zweijahresabschlüssen folgten in diesem Jahr willkürliche Arbeitskämpfe mit
völlig überzogenen Erhöhungen. Das hat Konsequenzen für unsere Betriebe, für die Arbeitsplätze
und das wird Konsequenzen für die Tarifautonomie haben. Es gibt nach meiner Überzeugung nur drei Alternativen für die
Zukunft der Tarifautonomie: 1.
Mehr Öffnungsklauseln
in den Tarifverträgen für abweichende Vereinbarungen durch die
Betriebspartner in den Betrieben. Für die Arbeitszeit ist das weitgehend
umgesetzt. Wir brauchen das auch für differenzierende, betriebliche
Regelungen bei Lohn und Gehalt. Oder: 2.
wenn die Tarifpartner
das nicht schaffen, wird der Gesetzgeber aufgerufen sein, diese Möglichkeiten
zur Differenzierung in Form einer gesetzlichen Öffnung zu verwirklichen. Oder: 3.
der Branchentarifvertrag
wird keine Zukunft haben. Ich spreche diese dritte Alternative nur ungern aus, weil ich ein
Anhänger der Tarifautonomie bleibe, weil ich nicht glaube, dass das Heil in
einer vollständigen Verbetrieblichung der Tarifpolitik liegt. Aber die Tarifautonomie hat keine Zukunft im überholten,
überreglementierten starren Einheitssystem der Vergangenheit. Wir treten ein für eine modernisierte, flexiblere und
differenziertere Tarifpolitik. Wir wissen, dass die Diskussion darüber auch
in den Gewerkschaften in Gang gekommen ist. Nicht nur in der IG BCE, sondern
auch in der IG Metall werden öffentlich zunehmend Bedingungen einer
differenzierten Tarifpolitik diskutiert. Selbstverständlich kann Differenzierung nicht bedeuten,
ergebnisabhängige Elemente on top zu bekommen. In der Konkretisierung sind
die Fragen kompliziert. Aber die Grundrichtung muss klar sein:
Branchentarifverträge können und sollen Mindestbedingungen formulieren; und
wir brauchen eine betriebliche Flexibilität und Differenziertheit, um mehr
betriebliche Gestaltungsmöglichkeiten für die Betriebspartner zu gewinnen. Eine modernisierte Tarifpolitik muss Raum für eine geregelte
Betriebsautonomie und individuelle Vereinbarungen geben. Erste
tarifvertragliche Ansätze zu einer solchen mehrstufigen und flexiblen
Gestaltung von Arbeitsbedingungen gibt es bereits. Dies gilt es auszubauen.
Diese erste Alternative ist die mit Abstand beste. Aber ich sage noch einmal klipp und klar: Ohne diese neue
Differenziertheit, ohne diese neue betriebliche Flexibilität überlebt die
Tarifautonomie nicht. Rolle der Wirtschaft Die BDA ist der Spitzenverband der gesamten deutschen Wirtschaft.
Wir vertreten alle Branchen in Industrie und Handwerk, den Handel, die
Banken, Versicherungen und alle Dienstleistungsbranchen. Die BDA ist ein aktiver Teil des politischen Lebens in
Deutschland. Wir stehen im Gespräch mit Regierung und Opposition. Auch nach
der Bundestagswahl gibt es diese intensiven Kontakte zu allen politischen
Fraktionen - zu Regierung wie Opposition. Ich habe allerdings den Eindruck, dass in Teilen der Regierung
die Bereitschaft zur konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit anderen
politischen Positionen geringer geworden ist. Einige scheinen dünnhäutiger
geworden zu sein. Anders kann ich mir jedenfalls kaum erklären, dass einige
Kritik aus der Wirtschaft einseitig als Miesmacher und Panikmacher
brandmarken wollen. Miesmacherei und Panikmache ist das Letzte, was die deutsche
Wirtschaft will. Ich habe immer davor gewarnt – gerade auch in den eigenen
Reihen -, den Wirtschaftsstandort Deutschland pauschal schlecht zu reden. Auf
der anderen Seite heißt das aber nicht, dass wir die Fakten und die Realität
in Deutschland nicht mehr deutlich und ehrlich benennen. Die Politik darf
sich nicht um die Realitäten herummogeln. Ich warne die Politik vor Wirklichkeitsverlust. Denn eine Politik ·
die die jüngere
Generation immer mehr belastet, ·
die die Zukunft der
Sozialsysteme gefährdet, ·
die heute konsumiert,
was für morgen investiert werden müsste, ·
die den Staat über den
Markt stellt, ·
die die Staatsschulden
nach wie vor weiter erhöht, ·
die gleichzeitig die
Steuer- und Abgabenlast ebenfalls weiter erhöht, eine solche Politik verkennt die Realität in Deutschland und
gefährdet die Zukunft unseres Landes. Ich wünschte mir ja auch, dass wir mit vielen unserer Warnungen
Unrecht gehabt hätten: ·
Ich hätte mir ja auch
gewünscht, dass unsere Voraussagen zur Arbeitslosigkeit nicht eingetroffen
wären. Meine Prognose von durchschnittlich 4 Millionen Arbeitslosen in diesem
Jahr hat die Bundesregierung noch vor wenigen Wochen vehement bestritten.
Jetzt werden es wahrscheinlich 4,1 Millionen, und für das nächste Jahr ist
weit und breit keine Besserung in Sicht. ·
Ich hätte mir ja auch
gewünscht, dass unsere Prognose zum Defizit der Bundesanstalt für Arbeit nicht
eingetroffen wäre. Als ich im Sommer ein Defizit von 3 Mrd. € prognostiziert
habe, hat die Bundesregierung uns Panikmache vorgeworfen und den
„Konjunkturfrühling“ für den Herbst 2002 ausgerufen. Jetzt werden es
tatsächlich fast 5 Mrd. €, und aus dem Frühling ist eher ein vorgezogener
konjunktureller Winter geworden. ·
Ich hätte mir ja auch
gewünscht, dass meine Prognose zum Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge
auf 19,5 % nicht eingetroffen wäre. Die Bundesregierung hat mich noch im
September öffentlich beschimpft, als ich gesagt habe, die Beiträge werden auf
diese Höhe steigen, wenn nicht einschneidende Korrekturen in der
Rentenversicherung passieren. Heute wissen wir: Mit der Erhöhung der
Beitragsbemessungsgrenze und der Absenkung der Schwankungsreserve handelt es
sich in Wahrheit um einen getarnten Beitrag von 19,9 Prozent – Öko-Steuer
noch nicht einmal eingerechnet! Vor etwas mehr als einem Jahr hat die
Bundesregierung 18,7 versprochen. ·
Ich hätte mir ja auch
gewünscht, dass am Ende dieses Jahres nicht die höchste Neuverschuldung des
Bundes mit 35 Mrd. € stehen würde – die höchste Neuverschuldung, die es je in
Deutschland gab. Aber als wir im Sommer dieses Jahres darauf hingewiesen
haben, dass die Bundesregierung dabei ist, die Stabilitätskriterien zu verletzen,
wurde das als Panikmache abgetan. Jetzt wissen wir, die drei Prozent werden
nicht knapp verpasst, sondern um Längen verfehlt. Die Bundesregierung hat mir für jede meiner Prognosen Panikmache
vorgeworfen und mich als Miesmacher gescholten. Ich bin da nicht empfindlich.
Aber leider – und ich betone ausdrücklich: leider – war es weder
Panikmache noch Miesmacherei – es war die schlichte Realität. Und Realitätsverweigerung, meine Damen und Herren von der
Regierung, die lassen wir Ihnen nicht durchgehen! Die deutschen Arbeitgeber und auch ich persönlich, ·
wir bekennen uns als
Unternehmer zur Gemeinwohlverpflichtung und zu unserer Verantwortung für
Staat und Gesellschaft. Durchschnittlich wendet beispielsweise jedes
mittelständische Unternehmen rund 30.000 € jährlich für soziale, kulturelle
oder karitative Zwecke auf. Das sind fast eine Milliarde €, die die
Unternehmen aufgrund privater Initiativen für Staat und Gesellschaft
aufwenden. ·
Wir bekennen uns zur
Tarifautonomie – modernisiert, flexibilisiert und differenziert. Die
deutschen Arbeitgeber sind Tarif- und Sozialpartner, denen das Wohl
und der Arbeitsplatz ihrer Mitarbeiter am Herzen liegt. ·
Wir bekennen uns zu
einer erneuerten zukunftsfähigen Sozialpartnerschaft mit solidarischer und
privater Vorsorge. In diesem Jahr finanziert allein die deutsche Wirtschaft
185 Mrd. € Sozialleistungen. ·
Wir, die deutschen
Arbeitgeber, wollen hier in unserem Land Arbeitsplätze schaffen. Über 30
Millionen Arbeitsplätze gibt es in der privaten Wirtschaft. Wir wollen und können
noch mehr schaffen. Aber man muss uns auch lassen. So wie es Michael Rogowski
formuliert: Gebt uns die Freiheit wieder, es möglich zu machen! ·
Wir wollen hier in
unserem Land Ausbildungsplätze schaffen. Auch wenn die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen derzeit mehr als angespannt sind, so finden doch über
520.000 junge Menschen einen Ausbildungsplatz in der privaten Wirtschaft. ·
Wir wollen hier in
unserem Land investieren. Im letzten Jahr hat die deutsche Wirtschaft
Investitionen über 380 Mrd. € in Deutschland geleistet. Wir wollen mehr
investieren – wenn die Bedingungen stimmen. ·
Wir wollen hier in
unserem Land Steuern zahlen. Es stimmt einfach nicht, dass die Unternehmen
keine Steuern zahlen. Allein in diesem Jahr werden es über 80 Mrd. € sein. Die deutsche Wirtschaft leistet viel für Staat und Gesellschaft,
und sie will noch mehr leisten. Aber dann muss uns die Politik auch lassen! ·
Dazu braucht
Deutschland eine neue Politik für wirtschaftliche Dynamik, Wachstum und
Beschäftigung. ·
Dazu braucht Deutschland
eine Politik der breiten Entbürokratisierung und Flexibilisierung, der
Entrümpelung des Arbeitsrechts und eine neue Arbeitsmarktverfassung, damit
Beschäftigungshindernisse verschwinden. ·
Dazu braucht
Deutschland eine Finanz- und Sozialpolitik mit niedrigeren Steuern und
Abgaben, mit mehr Eigenverantwortung und Eigenvorsorge, mit weniger Staat und
mehr Markt. So schaffen wir es und nur
so können wir es schaffen, aus der tiefen Krise herauszukommen, in der
sich die Wirtschaft und unser Land zweifellos befinden. Wir werden unseren
Beitrag leisten, damit wir es schaffen. Wir treten gegen die verbreitete
Resignation in Wirtschaft und Gesellschaft an. Ich bitte Sie alle, uns dabei
zu unterstützen. Und die verantwortlichen politischen Kräfte bitte ich: Sie
müssen uns auch machen lassen. Vielen Dank |