D a s L i b e
r a l e T a g e b u c h
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Sammlung Originaldokumente aus „Das Liberale Tagebuch“, http://www.dr-trier.de
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Christian Lindner, Dreikönigstreffen der FDP,
I..
Das Jahr 2014 wird ein Jahr des Gedenkens an die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts sein. Vor hundert Jahren ist der Erste Weltkrieg ausgebrochen.
Millionen sind auf den Schlachtfeldern verblutet oder mit Wunden an Leib und Seele nach Hause gekommen. Das war der Preis eines übersteigenden Nationalismus und die Folge eines – wie es der australische Historiker Christopher Clark dieser Tage in einem bemerkenswerten Buch nachgezeichnet hat – „Schlafwandelns“ der Großmächte, die selbst im Moment der größten Gefahr noch jeweils den eigenen Vorteil gesucht haben.
Im Ersten Weltkrieg hat die Generation meiner Urgroßväter gekämpft. Das familiäre Gedächtnis an diese Katastrophe ist deshalb längst verblasst. Aber aus der fernen Vergangenheit erreicht uns heute eine politische Lehre für Gegenwart und Zukunft: Die Voraussetzung für Frieden und Wohlstand in Europa sind der Respekt vor legitimen Interessen und der Versuch ihres fairen Ausgleichs.
Auch heute haben wir Interessensunterschiede in Europa. Es hilft ja nichts, darüber hinwegzugehen: Es gibt sie. Was aber für ein zivilisatorischer Fortschritt, dass wir darüber mit Freunden und Partnern diskutieren. Das ist das Europa, das wir für unsere Kinder und Enkel bewahren wollen.
Theodor Heuss hat einmal gesagt, Europa sei gebaut auf drei Hügeln: Golgatha, die Akropolis und das Kapitol in Rom. Europa ist mehr als eine Freihandelszone oder eine Zweckgemeinschaft. Europa ist eine Wertegemeinschaft: Würde des Einzelnen, Demokratie, Rechtsstaat, Marktwirtschaft. Wie bei allen wichtigen Dingen im Leben: Wer sie für selbstverständlich nimmt, der beginnt schon, sie zu verlieren.
Die Welt ist im Wandel. Die Gewichte der Weltwirtschaft verschieben sich in den pazifischen Raum. Die westlichen Demokratien sind mit autoritären Systemen konfrontiert, die rasch an politischem, technologischem und ökonomischem Potenzial gewinnen. Wenn wir als Deutsche alleine auf die Weltbühne treten wollten, wir wären zu einer Statistenrolle verurteilt. Unseren westlichen Lebensstil und unseren Wohlstand bewahren wir Europäer auf der Weltbühne nur gemeinsam.
Europa hat aber nicht nur gemeinsame Interessen und Werte. Europa hat auch Identitäts- und Strukturprobleme und Interessensunterschiede. Die Regierungen flüchten sich angesichts der Herausforderungen zu oft in eine fatale Mischung aus Technokratie und Pathos. Selbst bürgerlich eingestellte Menschen gewinnen den Eindruck, dass über Herausforderungen und Probleme nicht mehr wirklich gesprochen wird. Das ist das Konjunkturprogramm für die Bauernfängerparteien wie UKIP in Großbritannien oder Le Pen in Frankreich oder die AfD in Deutschland.
Ich habe in den vergangenen Wochen viele Gespräche mit unseren liberalen Partnern in Europa geführt – unseren Kommissaren, Ministerpräsidenten und Parteiführern. Wir sind alle gemeinsam einer Meinung, was der Auftrag der Liberalen in diesem Frühjahr sein muss: Das klare Bekenntnis zu Europa zu verbinden mit dem Mut, seine Probleme anzugehen. Für seine Zukunft braucht Europa weder Skepsis, noch Romantik. Europa braucht mehr Realismus und Bürgernähe, um Zukunft zu haben.
II.
Die weitere Entwicklung unseres Kontinents ist offen.
Die einen raten aus Angst vor dem drohenden Bedeutungsverlust zu einer weiteren Zentralisierung. Es mag eine faszinierende Vision sein: Aber wer sich heute schon in die Vereinigten Staaten von Europa träumt, der könnte morgen in einer Transferunion aufwachen, die mit bürokratischer Politik Wachstumskräfte und Vielfalt stranguliert.
Die anderen rasseln zwar nicht mit dem deutschen Säbel, aber sie klimpern mit dem deutschen Geldsäckel. Jene „Nationalökonomen“, die sich zurückträumen in eine Vergangenheit, die es so nie gegeben hat. Die großen Herausforderungen – die Ordnung der Kapitalmärkte, der Welthandel, Bürgerrechte und Datenschutz in der globalen Wissensgesellschaft, Energie, Klimaschutz und Umweltpolitik – das sind Fragen, die längst aus dem nationalen Rahmen herausgewachsen sind. Erst dann, wenn Europa gemeinsam Souveränität ausübt, gibt es überhaupt die Möglichkeit, in diesen Feldern hoheitliche Befugnisse des Staates zu zeigen. Die „Nationalökonomen“ sagen uns, Europa sei Teil des Problems. Wir als Liberale wissen: Bei den großen, bei den strategischen Fragen, ist Europa nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.
Lieber Hans-Dietrich Genscher, ich bin auch persönlich sehr erleichtert, dass Sie wieder zu Kräften gekommen sind und dass Sie hier heute bei uns sind. Sie haben im Dezember ein Beispiel Ihrer Staatskunst gegeben. Sie haben gezeigt, dass vertrauensbildende Maßnahmen überraschende Erfolge erzielen können. Dafür zollt Ihnen nicht nur Ihre Partei Respekt, sondern die ganz überwiegende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland.
Vor 33 Jahren haben Sie an dieser Stelle gestanden, Herr Genscher. Sie haben ebenfalls über Europa gesprochen. Auch damals war Europa in einer Bewährungsprobe. Hans-Dietrich Genscher hat hier gesprochen von einer „Europäischen Union“. Er hat gesprochen von einem Europa als „Raum ohne Grenzen“. An diese Rede knüpfte sich dann die Genscher-Colombo-Initiative an, später die Einheitliche Europäische Akte und 1993 die Vollendung unseres europäischen Binnenmarkts. Dieser Binnenmarkt ist sehr viel mehr als eine Idee der Wirtschaft. Der Binnenmarkt hat es ermöglicht, dass die Bürgerinnen und Bürger gemeinsam und von unten im tätigen Miteinander Europa bauen konnten. Das ist unsere liberale Leitvorstellung für die weitere Entwicklung dieses Kontinents: Das liberale Europa ist keine paternalistische Behörde. Das liberale Europa ist eine Ordnung, die jedem Europäer im Alltag mehr Freiheit und mehr Chancen eröffnen will.
Europa wurde stark, weil die Bürgerinnen und Bürger und die Staaten und Regionen in eigener Verantwortung ihre Kraft entfalten konnten. Europa bleibt stark, wenn seine Institutionen der Idee der Freiheit verpflichtet sind und das verteidigen, was die europäische Identität ausmacht: Einheit in Vielfalt.
III.
Eine dieser europäischen Grundfreiheiten wird in diesen Tagen diskutiert: die Freizügigkeit.
Ich halte nichts von einer falschen politischen Korrektheit, mit der objektive Probleme verleugnet oder verschwiegen werden. Daran beteiligt sich die FDP nicht.
Die vielen Menschen, die zu uns kommen, um hier bei uns zu arbeiten und ihre Kinder großzuziehen, die Teil unserer Gesellschaft sein wollen – diese fleißigen, ehrlichen Zuwanderer, wir würden sie den Stimmungsmachern ausliefern, wenn wir die objektiven Probleme nicht angehen. Sie erwarten regelrecht von uns, dass wir eine Grenze ziehen dort, wo es nicht um Einwanderung zur gemeinsamen Gestaltung des Lebens, sondern wo es um Missbrauch geht. Deshalb: Es gibt objektive Probleme, in Duisburg, in Offenbach, in Berlin. Mit verwahrlosendem Wohnraum, mit kaum beschulbaren Kindern, es gibt dort Probleme auch steigender Kriminalität. Mit diesen Problemen dürfen die Städte und Gemeinden und die Bürgerinnen und Bürger nicht alleine gelassen werden, denn dafür haben wir den Sozial- und Rechtsstaat, dass er sich dieser Fragen annimmt.
Die Behörden müssen an einen Tisch. Es müssen europäische Mittel genutzt werden. Die Probleme mangelhafter Integration müssen angefasst werden. Dafür braucht es aber nicht Horst Seehofer. Meine Fraktion im Landtag von Nordrhein Westfalen hat das Thema noch im Dezember zum Gegenstand einer Parlamentsbefassung gemacht: Die europäische Freizügigkeitsrichtlinie sieht vor, dass Unionsbürger, die nur zu uns kommen, um dann in die Sozialleistungen einzusteigen und nicht in den Arbeitsmarkt, dass diesen die Unterstützung versagt werden kann. Wir haben die nordrheinwestfälische Landesregierung gefragt, wie oft sie von diesem bestehenden Recht Gebrauch gemacht hat. Die Antwort war: null Mal. Kein Mal. Noch nie. Das zeigt eines: Wenn es europäisches Recht gibt, dass deutsche Regierungen nicht umsetzen, dann ist das kein Problem Europas, sondern ein Problem der deutschen Politik.
Wer dagegen Bulgaren und Rumänen pauschal Sozialmissbrauch unterstellt, wie das jetzt getan wurde, der opfert die Weltoffenheit unseres Landes. Ich bin enttäuscht, dass die Frau Bundeskanzlerin auf diese Debatte nur damit reagiert hat, dass es jetzt so einen „Staatssekretärsausschuss“ gibt. Ich hätte gerade vor dem Hintergrund der besonderen Verantwortung von Frau Merkel in Europa erwartet, dass sie ihr inzwischen ja über Monate anhaltendes Schweigen zu allen wesentlichen innenpolitischen Fragen endlich beendet – und Klartext spricht: dass Deutschland ein weltoffenes Land bleibt, das eine Willkommenskultur hat.
Denn wir brauchen die qualifizierte Zuwanderung als Antwort auf die alternde Gesellschaft. Der Fachkräftemangel ist zum Beispiel in vielen Teilen Baden- Württembergs längst angekommen. Wir sollten froh sein, wenn Menschen zu uns kommen wollen, um mit uns gemeinsam unseren Wohlstand auszubauen und unsere sozialen Sicherungssysteme angesichts des demographischen Wandels stabil zu halten. Wir sagen: Wer zu uns kommt, um hier zu arbeiten und Steuern zu zahlen, wer die republikanische Wertordnung des Grundgesetzes akzeptiert, der ist uns willkommen. Da fragen wir nicht, wo einer herkommt, sondern wohin er mit uns will.
IV.
Europa ist eine Freiheitsordnung. Europa wird nicht automatisch stärker dadurch, dass es neue Kompetenzen, mehr Geld und zusätzliche Behörden bekommt. Nicht alles, was gerade politische Mode wird, muss sofort von Brüssel aus für alle verbindlich vorgegeben werden. Die Spanier würden sich bedanken, man würde ihre Siesta streichen und als Kompensation das deutsche Ladenschlussgesetz anbieten.
Das sind die Fragen, die in den Mitgliedsstaaten entschieden werden können. Vielleicht können die Kollegen aus dem Europäischen Parlament aber einmal darlegen, warum ein EU-Kommissar die Olivenölkännchen auf den Restauranttischen verbieten wollte. Das sind mit Sicherheit keine Aufgaben für Brüssel. Denn Europa sollte sich um die Fragen bemühen, die zur Verteidigung unserer Identität und zur Behauptung unseres Einflusses in der Welt wichtig sind. Die Alltagsfragen aber, die können anderen überlassen werden – nämlich uns.
Es ist eine Realität, dass inzwischen weite Teile unsere Politik von Brüssel bestimmt werden. Bis in die Städte und Gemeinden. Es gibt Untersuchungen, dass 80 Prozent der Entscheidungen, die auf der gemeindlichen Ebene getroffen werden, von europäischem Recht bestimmt sind. Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland ist also nicht nur von Finanzproblemen der Städte und Gemeinden, nicht nur von wachsenden Soziallasten, sondern auch durch die Bürokratisierung von Brüssel, Bund und Ländern eingeschränkt. Das ist nicht nur ein Problem der Bürgernähe und der Vielfalt – sondern auch der Transparenz. Inzwischen sind die Zuständigkeiten zwischen den unterschiedlichen staatlichen Ebenen so miteinander vermengt wie bei einem Marmorkuchen: Jeder ist irgendwie für alles und für nichts zuständig. Wir plädieren dagegen für eine Kompetenzaufteilung nach dem Prinzip der Schichttorte: Damit die Bürgerinnen und Bürger wissen, wer für was Verantwortung trägt. Wir wollen das Prinzip der Subsidiarität wieder mit Leben füllen. Das, was der Staat entscheiden muss, soll er bürgernah entscheiden. Am besten sollen die Bürgerinnen und Bürger aber selbst entscheiden, was ihr Leben betrifft – das ist die Idee der Subsidiarität.
Es gibt in Europa Kompetenzen, die richtig und wichtig sind. Aber es stellen sich Fragen, warum beispielsweise Europa einen Gesundheits- und einen Kulturkommissar hat. Denn für Gesundheit und Kultur ist die Europäische Union laut dem Vertragsrecht nicht zuständig. Was machen die eigentlich? Wo Europa keine Kompetenz hat, da braucht es auch keinen Kommissar. Da kann es schlanker werden.
Das ist im Übrigen auch geltendes Recht. Denn der Vertrag von Lissabon sieht vor, dass die Zahl der Kommissare nur zwei Drittel der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ausmachen soll. In anderen Worten: Die Europäische Kommission ist genau um ein Drittel zu groß. Das ist kein Populismus – es ist der Wunsch, dass europäisches Vertragsrecht endlich eingehalten wird. Damit es eine schlanke, handlungsfähige Kommission gibt – und nicht eine Super-Behörde, in der Beamte und Kommissare sich ihre Aufgaben suchen müssen. Das führt zu Bürokratismus.
Und wir wollen ein starkes Europäisches Parlament. Ein Parlament, das noch nicht einmal über seinen Sitz entscheiden kann, sondern zu einem Pendelzirkus in Straßburg und Brüssel gezwungen ist, ein solches Parlament entspricht nicht unserem Selbstverständnis eines selbstbewussten Parlamentarismus. Ich will nicht, dass Regierungen hinter verschlossenen Türen darüber entscheiden, welche Freiheitsrechte wir haben – und die nationale Parlamente binden. Ich will, dass über unsere Freiheit entschieden wird in der parlamentarischen Öffentlichkeit. Von Abgeordneten, die sich für ihre Entscheidungen vor uns rechtfertigen müssen. Das ist europäische Demokratie.
Ich halte auch, wenn man dieses Prinzip der Subsidiarität ernst nimmt, die Übertragung von Kompetenzen nach Europa, nicht für eine Einbahnstraße. Dort, wo sich eine europäische Zuständigkeit als nicht wirksam erwiesen hat oder die Geschäftsgrundlage entfallen ist, da muss sie auch wieder in nationale Verantwortung zurückgegeben werden können.
Die Aufgabe der Landwirtschaftspolitik in Europa war es ja etwa, die Ernährung in Europa sicherzustellen. Ich glaube, dass da Fortschritte erzielt worden sind ...
V.
Es gibt auf der anderen Seite neue Aufgaben. Beispielsweise im Bereich unserer bürgerlichen Freiheiten.
Wir haben gehört, dass die Vereinigten Staaten einen Quantencomputer entwickeln wollen, mit dem weltweit jede Verschlüsselung gebrochen werden kann. Was für Ronald Reagan das SDI-Programm war, das ist diese Technologie für den aktuellen Präsidenten. Auf diese Herausforderung muss Europa eine gemeinsame politische Antwort formulieren. Das ist eine Frage europäischer Politik. Denn bei aller Freundschaft und Partnerschaft zu den Vereinigten Staaten: Sie endet dort, wo die Bürgerinnen und Bürger bespitzelt werden. Da ist genau die Grenze der Freundschaft. Und das wollen wir als Europäer gemeinsam sagen.
Wir haben als Europäer eine größere Sensibilität für die Privatheit. Sie steht in unserer europäischen Grundrechte-Charta. Denn Privatheit, das ist das vornehmste Bürgerrecht. Wenn das Öffentliche und das Private zusammen fallen, dann kann der Einzelne sich nicht entwickeln. Und wenn man befürchten muss, dass auch private Entscheidungen irgendwann öffentlich werden, warum auch immer, dann wird man sein Verhalten ändern. Das ist die empfindlichste Freiheitseinschränkung, die es gibt: die Selbstzensur persönlicher Lebensführung.
Unsere Bedenken gegenüber der Vorratsdatenspeicherung sind im Dezember durch einen Gutachter beim Europäischen Gerichtshof bestätigt worden. Nun hat der sozialdemokratische Bundesjustizminister das zum Anlass genommen, die Vorratsdatenspeicherung auf Eis zu legen. Ich hätte mir als Motiv Überzeugung gewünscht und nicht das Abwarten eines Urteils aus Brüssel – aber immerhin! Jetzt, lieber Herr Maas, wünschen wir Ihnen die gleiche Standhaftigkeit gegenüber der Union, die Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und die FDP vier Jahre bewiesen haben. Angesichts der Enthüllungen über die Tätigkeit der NSA wäre aber die angemessene Reaktion aus Deutschland gewesen, die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf politischer Ebene gleich ganz aus dem Verkehr zu ziehen.
Ich warte auf die europäische Forschungs- und Innovationsinitiative im Bereich des Datenschutzes. Wir können es uns als Europäer doch nicht erlauben, dass wir in bestimmten Technologien gegenüber China und den Vereinigten Staaten ins Hintertreffen geraten. Statt überkommende Strukturen zu subventionieren, sollte Europa in diese Bereich gemeinsam investieren, damit wir eine Alternative anbieten können zu angelsächsischen Anbietern.
Von der Bundesregierung aber wird wohl keine offensive Bürgerrechtspolitik ausgehen. Das zeigen auch gewisse Personalentscheidungen der Bundesregierung. Das ist ja schon bemerkenswert, dass eine Abgeordnete zur Bundesdatenschutzbeauftragten von Schwarz-Rot bestimmt wird, die vorher für die Vorratsdatenspeicherung, für die Internetzensur und für die Online-Durchsuchungen war. Das zeigt, dass diese Regierung die Bedeutung der Bürgerrechte verkennt. Diese Personalentscheidung lässt Seriosität und Glaubwürdigkeit vermissen. Sie ist so absurd – dann kann man gleich Ronald Pofalla zum Vorstand der Bahn AG machen ...
Wir werden weiter Druck machen müssen für die Bürgerrechte. Ich bin deshalb froh, dass Wolfgang Kubicki, der ein großes Interesse an meiner, Ihrer und seiner eigenen Privatsphäre hat, unser Gesicht für die Bürgerrechte in diesem Frühjahr sein wird. Da werden wir die Bundesregierung jagen. Ich bin froh, Wolfgang, dass du im Wahlkampf – Europa und kommunal – mit dabei bist. „Ich bin froh“ – das ist ein falsches Wort. Ich will es anders sagen: Wenn ich die Rede von Michael Theurer, Uli Rülke und Nicola Beer sehe, wenn ich hier vorne sehe, was der kluge Bundesparteitag für eine Mannschaft ins Präsidium gewählt hat: Ich bin nicht froh – ich bin stolz darauf, dass die FDP wieder über so viele Persönlichkeiten verfügt, die in diesem Frühjahr für unsere liberale Sache werben können.
VI.
Ohne Frage ist die größte Herausforderung europäischer Politik die Stabilisierung unserer Währungsunion.
Im Dezember hat Irland den Rettungsschirm verlassen, nachdem es sein Anpassungsprogramm erfolgreich absolviert hat. Auch in den Leistungsbilanzen anderer Staaten sehen wir Fortschritte. Das ist mit Sicherheit nur ein Signal der Entspannung und nicht der Entwarnung. Eines können wir aber heute sagen: Die Kassandrarufer jedenfalls, die haben nicht Recht behalten. Es zeigen sich jetzt die Erfolge unseres stabilitätsorientierten Wegs in Europa.
Entscheidend waren für uns als Liberale die Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds, die strikte Verbindung von Hilfsmaßnahmen mit Reformerfolgen, die Beteiligung der Gläubiger und der unbedingte Parlamentsvorbehalt des Deutschen Bundestags. Zur Erinnerung: All das musste gegen CDU und CSU hart erkämpft und durchgesetzt werden. Ohne uns gäbe es in Deutschland, in Europa längst Eurobonds. Wir aber wissen: Neue Stabilität gewinnt Europa nur durch mehr Solidität – und den Weg wollen wir weiter fortsetzen.
Vor diesem Hintergrund lese ich gestern die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ mit einem bemerkenswerten Interview des griechischen Außenministers. Der da Deutschland Zurückhaltung empfiehlt. Der sagt, dass Deutschland auch Toleranz für „andere Lösungswege“ in Europa haben müsste. Der von Bedrohungen für die deutschen Steuerzahler spricht, wenn die Anforderungen an Griechenland zu hoch werden. Und der fordert, dass zukünftig bei dem Euro-Rettungsmaßnahmen das Europäische Parlament zustimmen soll – in dem es eine Mehrheit der Nehmerländer gibt, die dann über die Geberländer entscheiden können. Was ich bislang nicht wahrgenommen habe ist die Reaktion der deutschen Bundesregierung. Das ist ja ein Sachverhalt, wenn es ein ganzseitiges Interview eines griechischen Außenministers in einer deutschen Sonntagszeitung gibt. Und von der Bundesregierung: nichts! Teilt vielleicht der Bundesaußenminister etwa die Haltung seines sozialistischen griechischen Parteigenossens? Ich hätte es gerne gewusst. Für uns ist jedenfalls klar: Man riskiert Europa, wenn man die Reformbereitschaft unterfordert und die Solidarität überfordert.
Wir haben Respekt vor den Erfolgen, die zum Beispiel in Griechenland erzielt worden sind. Aber wir erwarten auch Respekt dafür, dass wir in den vergangenen jetzt bald vier Jahren jede der Stabilitätsmaßnahmen, die in Europa notwendig waren, als Deutsche mitgetragen haben.
Das erste ist der faire Interessenausgleich, den wir brauchen, um Europa in eine gute Zukunft zu führen. Ich bin in Sorge, ob die Große Koalition diese stabilitätsorientierte Politik in Europa fortsetzen wird. Es ist nicht nur das Schweigen gegenüber dem griechischen Außenminister, das Anlass für meine Sorge ist. Sondern auch, dass die Große Koalition mitträgt, dass zukünftig einzelne Banken aus den europäischen Rettungsschirmen finanziert werden können. Die Regierungschefs haben zudem im Dezember beschlossen, dass es bei der Abwicklung von Banken in Europa zukünftig dazu kommen kann, die Sparer und Steuerzahler eines Landes in Mithaftung geraten für die Banken und Sparkassen eines anderen Landes. Das ist genau das, was wir in den Jahren unserer Regierungsbeteiligung immer verhindern wollten: dass nämlich Freiheit und Verantwortung getrennt werden. Das passiert durch diese Beschlüsse in doppelter Weise: Es wird nicht nur die Verantwortung des einzelnen Staates für seinen privaten Finanzsektor getrennt, sondern es werden auf der anderen Seite auch die Eigentümer und Gläubiger der Banken aus ihrer Verantwortung entlassen, wenn jetzt schon wieder über neue Abwicklungsinstrumente unter Einbeziehung der Steuerzahler gesprochen wird. Wir sind Marktwirtschaftler. Und deshalb wissen wir nach Ludwig Erhard, dass das zentrale Prinzip der Marktwirtschaft die Haftung ist. Wir wollen, dass Staaten für ihre Schulden und für ihre Banken verantwortlich bleiben. Und wir werden Gläubiger und Eigentümer nicht aus der Verantwortung für ihre Banken entlasten.
Wir brauchen nicht gemeinsame europäische Abwicklungsinstrumente, die diese Verantwortung schwächen. Wir wollen mehr Verantwortung – auch im privaten Bereich. Eigenkapital muss gestärkt werden. Wer kein Eigenkapital hat, der haftet mit nichts. Und wer mit nichts haftet, der ist eingeladen, seine Gewinne zu privatisieren und den Schaden dem Steuerzahler zu vermachen.
Einer der Chefs der Deutschen Bank hat sich gerade dafür gerühmt, dass seine Bank das Eigenkapital in diesem Jahr auf sage und schreibe drei Prozent der Bilanz erhöht hat. Schicken Sie mal einen Mittelständler mit drei Prozent Eigenkapital zu seiner Hausbank wegen einer neuen Kreditlinie. Aussichtslos. Deshalb: Wenn die Banken selbst Konsequenzen aus der Finanzkrise ziehen, dann muss der liberale Rechtsstaat sich schützend vor die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler stellen. Das eben ist Ordnungspolitik: Es wird nie möglich sein, mit Bürokratie und Regelungen im Detail schneller und wirksamer zu sein als die Akteure an den Kapitalmärkten. Die haben immer die besseren Ideen und Bypässe, die gelegt werden. Die eigentliche, die natürliche Risikobremse – das ist die Idee der Haftung.
VII.
Hier in Baden-Württemberg muss ich für diese Idee nicht werben. Denn die Soziale Marktwirtschaft ist hier in Baden-Württemberg, in Freiburg insbesondere von Walter Eucken, konzipiert worden. Die Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, die hatten den Mittelstand Baden-Württembergs vor Augen, der mit Solidität und Substanz arbeitet. Die hatten im Blick die Innovationskraft und die wahrgenommene soziale Verantwortung eines Robert Bosch’. Die Soziale Marktwirtschaft ist deshalb für uns nicht ein kaltes und abstraktes Regelwerk. Die Soziale Marktwirtschaft ist eine Werteordnung – die Werteordnung ehrlicher Kaufmannschaft. Diese Soziale Marktwirtschaft in Deutschland und Europa, wir wollen sie verteidigen. Aus Überzeugung.
Ich bin im November beim Deutschen Arbeitgebertag beim Reingehen von einem Mann gefragt worden: „Herr Lindner, wenn Sie Vorsitzender der FDP werden sollten, wird die FDP dann sozialer oder bleibt sie marktwirtschaftlich?“
Die Frage für sich genommen ist bemerkenswert. Da geht es nicht alleine um die FDP, sondern um eine Grundfrage unserer Wirtschaftsordnung. Über die in unserem Land mancher ja mit einer geschmäcklerischen Ablehnung, teilweise sogar mit Verachtung spricht. Sozialer oder marktwirtschaftlicher? Für die Gründerväter unserer Wirtschaftsordnung hat sich diese Frage nie gestellt. Denn die Idee der Sozialen Marktwirtschaft ist es ja gerade, durch das Leistungsprinzip das Solidarprinzip zu verwirklichen.
Die Marktwirtschaft ist sozial, weil sie die Kraft der Gesellschaft mobilisiert und so Fortschritt und Arbeitsplätze schafft. Die Marktwirtschaft ist sozial, weil sie durch das Wettbewerbsprinzip die Marktmacht Einzelner bremst und den Außenseitern und Einsteigern immer neue Chancen eröffnet. Und nicht zuletzt, sondern vor allem: Die Marktwirtschaft ist sozial, weil sie überhaupt erst die Mittel zur Verfügung stellt, mit denen danach soziale Politik gemacht werden kann – gerade in diesen Zeiten muss man daran erinnern.
Und trotzdem: Es gibt eine ganz merkwürdige Denke mit Blick auf die Soziale Marktwirtschaft. Der Wohlstand dieses Landes, der Wohlstand Deutschlands, ist mit harter Arbeit auf den Weltmärkten erwirtschaftet worden. Mit Innovationskraft. Das begründet unseren Wohlstand. Und jetzt gibt es einen baden-württembergischen Ministerpräsidenten, der mit seiner Partei in Europa darüber nachdenkt, dass man doch eigentlich zu einem größeren Gleichgewicht kommen muss – und dass deshalb Exporte besteuert und Staaten mit Überschüssen bestraft werden sollten. Die Europäische Kommission hat inzwischen ein Verfahren gegen Deutschland eingeleitet. Es wird geprüft, nicht wegen zu hoher Defizite, sondern weil Deutschland zu hohe Außenhandelsüberschüsse hat: Weil in Deutschland mehr gearbeitet, mehr gespart wird und wir innovativer sind, ist doch niemand in Europa gezwungen, weniger zu arbeiten, weniger zu sparen und weniger innovativ zu sein. Was ist das für ein Denken?
Mich stört schon der Ansatz, dass in Brüssel jetzt einzelne Volkswirtschaften bewertet werden, die stark sind. Wir müssen doch unseren Binnenmarkt vergleichen mit anderen Weltregionen! Europa wird nicht stärker dadurch, dass Deutschland geschwächt und bestraft wird für seine Stärke. Europa wird nur gewinnen, wenn es seine Wettbewerbsfähigkeit insgesamt und im Vergleich zu anderen Weltregionen verbessert. Da brauchen wir Impulse aus Brüssel – keine Bremsen, sondern Motor anwerfen.
VIII.
Dieses Jahr 2014, in dem wird es so viele 50. Geburtstage geben wie niemals zuvor und auch niemals mehr danach. Der Jahrgang 1964 das ist der stärkste Jahrgang der Nachkriegsgeschichte. Die gehen jetzt in das sechste Lebensjahrzehnt. Deutschland profitiert von den Babyboomern und ihrer enormen Leistungs- und finanziellen Feuerkraft.
Ich selbst gehöre dieser Generation, das ist Ihnen vielleicht aufgefallen, nicht an. Ich bin der einzige Parteivorsitzende in Deutschland, der nicht aus der Babyboomer-Generation oder einer früheren kommt. Deshalb sehe ich vielleicht auch mit einer anderen Sensibilität, dass die Babyboomer, die heute so stark in Wirtschaft und Gesellschaft sind, dass die in den Ruhestand eingetreten sein werden, wenn ich selbst meinen 50. Geburtstag feiere. Es beginnt im nächsten Jahrzehnt, dass diese starke Generation von der Seite der Aktiven in das Ruhestandsalter eintritt. Das ist genau der Zeitraum, den Deutschland hat, um den demographischen Wandel zu gestalten. Wir sollten diesen Zeitraum nutzen, unsere sozialen Sicherungssysteme und unsere Wirtschaft auf die Alterung der Gesellschaft vorzubereiten. Was aber macht die Große Koalition bei dieser für unsere Gesellschaft vitalen Frage?
Wolfgang Schäuble hat öffentlich zugeben müssen, dass Deutschland in diesem Jahr zwei Milliarden Euro mehr Schulden machen wird, als die schwarz-gelbe Bundesregierung ursprünglich geplant hatte. Das ist der Preis der schwarz-roten Wahlgeschenke. Das ist der Preis, den die Große Koalition für ihre Gefälligkeitspolitik fordert – nämlich höhere Schulden. Die neue Große Koalition, die macht da weiter, wo die alte Große Koalition aufgehört hat: höhere Schulden, Plündern der Sozialkassen und Subventionen auf Pump.
Die Große Koalition hat die Rente mit 63 und die Mütterrente beschlossen. In einer seltenen Offenheit bekennt Sigmar Gabriel, dass man dafür in wenigen Jahren bereits entweder den Rentenbeitrag erhöhen muss, die Steuern erhöhen muss oder mehr Schulden aufnehmen muss.
Aber der interessanteste Debattenbeitrag unter dieser Überschrift, der kam wieder einmal von der CSU: Die Große Koalition verweigert sich einer grundlegenden Revision des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. Ein neues EEG soll es erst im Jahr 2018 geben - also nach der nächsten Bundestagswahl. Bis dahin soll das im Prinzip so weitergehen. Und statt dass man die Dauersubventionen auf den Prüfstand stellt und mehr zu Wettbewerb kommt, zu Marktlösungen kommt, schlägt die CSU vor, man könnte ja einen Milliarden schweren Fonds einrichten, um die Energiewende auf Pump zu finanzieren. Die junge und die mittlere Generation, sie soll also zukünftig nicht nur die verfehlte Haushalts- und Rentenpolitik, sondern jetzt auch noch die verfehlte Energiepolitik stemmen. Das ist eine Überforderung – und damit werden die jüngere und die mittlere Generation zu den Verlierern dieser Koalition.
Was für eine Idee – Subventionen auf Pump. In Zeiten von Rekordsteuereinnahmen und Niedrigzinsen macht die Große Koalition neue Schulden. Am Vorabend des demographischen Wandels wird bei den sozialen Sicherungssystemen nach Vorbild von François Hollande gedreht. Diese Große Koalition verspielt leichtfertig die momentane Stärke unseres Landes.
Die Millionen Menschen in Deutschland, die das beobachten, die vielleicht die Union gewählt haben, die reiben sich die Augen, wie schnell sich die Union von den Prinzipien bürgerlicher Politik der vergangenen vier Jahre verabschiedet hat. Millionen Menschen in Deutschland wollen eben keinen Wechsel auf die Zukunft. Die große Mehrheit der Deutschen will auch keine Lasten an die Generation ihrer Kinder und Enkel weitergeben. Die große Mehrheit in Deutschland will, dass in Deutschland nicht Zukunft verbraucht, sondern wieder Zukunft gestaltet wird. Und das ist die Chance der FDP: als bürgerliche Reformpartei, die Zukunftsverantwortung wahrnimmt.
IX.
SPD, Grüne und Union gemeinsam nehmen den Menschen die Möglichkeiten, selbst etwas für die eigene Zukunft zu tun.
Zu Beginn dieses Jahres haben etwa die rot-grünen Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Niedersachsen die Grunderwerbssteuer erhöht. Das schwarz-grüne Hessen wird folgen.
Das ist mehr als eine finanzpolitische Operation. In Hessen führt das konkret dazu, dass eine junge Familie, die eine eigene Wohnung haben will und die ohnehin über Jahrzehnte auf jeden Euro bei der Finanzierung achten muss, dass die mal eben ein bis zwei komplette Monatsgehälter zusätzlich an den Staat als Steuer abführen müssen.
Das sind dieselben Familien übrigens, denen die Große Koalition jetzt auch weiter die „kalte Progression“ zumutet. Da ist sie, die Steuererhöhung der Union – nämlich durch Unterlassung. 17,5 Milliarden Euro bis 2017 nicht für Millionäre, sondern für Millionen Menschen in Deutschland.
Das zusammengenommen führt dazu, dass die Menschen gehindert werden dabei, sich selbst etwas aufzubauen. Sie werden belastet. Man kann aber doch nicht einerseits die wachsenden Unterschiede bei Einkommen und Vermögen in unserem Land beweinen – und dann in der praktischen Politik den Menschen die Möglichkeit nehmen, sich selbst etwas aufzubauen.
Das zeigt soziale Fassade und keine soziale Verantwortlichkeit. Gerade die eigene Wohnung, das eigene Haus – das ist doch auch mehr als Vermögensaufbau. Das ist ein Wunsch der Menschen. Eigentum führt zur Verantwortung, führt zu sozialem Zusammenhalt – zuerst in der Nachbarschaft, dann in der Gemeinde, dann im Staat. Die Geschichte hat gezeigt: Das Volk der Eigentümer ist sozialer und stabiler als Volkseigentum. Das wollen wir den Menschen ermöglichen: sich selbst etwas aufzubauen.
Das ist Gegenteil aber ist die Politik der Großen Koalition: Die Möglichkeiten über das eigene Einkommen, über das eigene Eigentum zu verfügen, die werden eingeschränkt – von der eingeschränkten Vertragsfreiheit am Arbeitsmarkt bis zur Mietpreisbremse. Und auf der anderen Seite werden die Möglichkeiten, selbst neues Eigentum zu schaffen, für die breite Mitte der Gesellschaft erschwert von SPD, Grünen und CDU. Dahinter steht ein Bild des Bürgers. Nämlich eines Bürgers, der vom Staat betreut, umsorgt, gefördert, angereizt, beraten und am Ende vor sich selbst geschützt werden muss – und das am besten noch als Mieter im kommunalen Wohneigentum. Das aber ist nicht unser Bild der Bürgerinnen und Bürger: Ich sehe in Deutschland Millionen Menschen, die sich etwas aufbauen wollen und die stolz sind, Verantwortung für sich und ihre Familien übernehmen zu können. An diese Menschen wenden wir uns. Deren Partner wollen wir wieder sein. Wir haben Anerkennung für die Menschen, die es im Leben schon zu etwas gebracht haben. Aber unser Herz gehört denen, die sich mit Fleiß und Sparsamkeit erst noch etwas aufbauen wollen.
X.
Kurz vor Weihnachten haben grüne Bundestagsabgeordnete ein Papier vorgelegt, in dem sie beschreiben, warum sie jetzt auch eine liberale Partei sind. Aus allen Parteien hört man jetzt solche Wortmeldungen. Ich finde: das ist eine gute Nachricht, wenn alle nun liberal sein wollen. Wenn die Union jetzt plötzlich die Bedeutung bürgerlicher Freiheitsrechte anerkennt, wenn Sigmar Gabriel jetzt gelegentlich bei Ludwig Erhard nachschlagen sollte. Wenn die Grünen endlich ihren Anspruch überwinden möchten, aus unserer freien und toleranten Gesellschaft eine staatliche Besserungsanstalt zu machen. Wer sollte dagegen etwas haben? Das bringt uns Liberalen ja neue Gesprächspartner in anderen Parteien. Aber, liebe Möchtegern-Liberale in anderen Parteien: Redet nicht darüber – sondern macht es endlich! Wir jedenfalls fürchten den Wettbewerb mit denen nicht. Der Wettbewerb, im Gegenteil, macht auch uns klarer, konturierter, macht auch uns besser. Deshalb werden wir uns in diesem Jahr den Wettbewerb mit diesen Parteien stellen. Und zeigen: Die sprechen über Liberalität – Liberale sind es aber nicht. Da gibt es nur eine Partei in Deutschland, nämlich unsere: die FDP. Das ist die Auseinandersetzung dieses Jahres.
Das ist unsere Aufgabe: Wir Liberale haben ein eigenes politisches Konzept. Und wir sind gerade jetzt so unabhängig und eigenständig wie niemals zuvor in unserer Geschichte. Wir sind unabhängig von unseren politischen Wettbewerbern. Wir sind aber auch unabhängig von einzelnen Interessengruppen und von einzelnen Berufsgruppen.
Für die FDP muss gelten, dass wir uns an den Problemen und ihren Lösungen orientieren – und dass wir alle diejenigen ansprechen, die unsere Auffassung vom guten Leben in Freiheit und Verantwortung teilen. Diese Unabhängigkeit gibt uns neue Souveränität, die zu neuer Glaubwürdigkeit und neuer Überzeugungskraft führt.
Wenn die Grünen beispielsweise sagen, dass sie unsere Position in der Vorratsdatenspeicherung teilen, dann können wir uns über diese Unterstützung freuen. Wenn aber unser ehemaliger Koalitionspartner CDU bei der Reduzierung der kalten Progression zum zweiten Mal sein Wort bricht, dann müssen wir das öffentlich anklagen. Wenn eine Gewerkschaft wie die IGBCE den Grünen „Ökofundamentalismus“ vorwirft und eine wachsende Technologieskepsis in Deutschland sieht, ja, dann können wir dieser Gewerkschaft zustimmen. Wenn aber ein Wirtschaftsverband für seine Branche zulasten der Kundinnen und Kunden Privilegien durchsetzen will, dann muss die Partei des Wettbewerbs und der Marktwirtschaft widersprechen.
Wir sind so unabhängig in der Sache wie niemals zuvor in unserer Geschichte. Das ist die neue Stärke der FDP: die Unabhängigkeit im Urteil und die Eigenständigkeit in der Sache.
Für uns zählt jetzt unser eigener Kompass. Wir wenden uns an die Menschen, die unsere Grundüberzeugungen teilen. Es gibt viele in Deutschland, die wollen, dass es wieder eine starke, liberale Partei gibt. Sie wollen eine liberale Partei, die im Auftreten und in der Substanz wieder den eigenen Maßstäben entspricht. Wir haben es in der Hand, diesen Maßstäben gerecht zu werden. Und das werden wir in diesem Frühjahr unter Beweis stellen. |