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s L i b e r a l e T a g e b u c h
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Sammlung
Originaldokumente aus „Das Liberale
Tagebuch“, http://www.dr-trier.de |
Christian Lindner am 22.11.2011 im Bundestag Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die schockierenden Informationen, die uns dieser Tage erreichen, stellen
vielleicht zu bequeme Gewissheiten infrage. Wir hätten es uns vermutlich alle
nicht vorstellen können, dass über Jahre Mitmenschen aus rassistischer
Ideologie heraus ermordet werden, ohne dass Rechtsterrorismus als Motiv
überhaupt in Erwägung gezogen wird. Wir hätten es uns nicht vorstellen
können, dass in Deutschland Gewalttäter mitten unter uns über Jahre im
Untergrund leben können. Wir hätten uns nicht vorstellen können, dass die
Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern über Jahre systematisch versagt
haben. Diese unbequemen Gewissheiten müssen wir nun zur
Kenntnis nehmen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es ein systematisches
Versagen von Sicherheitsbehörden gegeben hat und dass wir alle umdenken
müssen. Der Schock des Augenblicks darf aber nicht zu
reflexhaften Reaktionen führen. Erst recht ist er nicht Anlass für
parteipolitisches Klein-Klein. (Beifall bei der FDP … ) Ich habe mich doch sehr wundern müssen über die
Schärfe des Tons von Herrn Steinmeier und auch zuletzt von Herrn Oppermann.
Wir wollen es zumindest einmal während dieser Debatte gesagt haben: Die
Mehrzahl der Fälle fiel in die Verantwortungszeit von Otto Schily. Auch Ihre
einfachen Rezepte haben nicht funktioniert. (Beifall bei der FDP … ) Deshalb sind wir gemeinsam vor Verantwortung und
Herausforderungen gestellt. Ich hätte mir gewünscht, dass diese Gemeinsamkeit
in Bezug auf die Herausforderung in dieser Debatte stärker zum Ausdruck
gekommen wäre. (Beifall bei der FDP … ) Die Morde haben das Vertrauen in unseren Rechtsstaat
erschüttert. Gerade die Millionen Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte,
die zufällig zu Opfern hätten werden können, müssen sich fragen, ob sie
hinreichend geschützt werden. Jeder in Deutschland hat das Recht, in Frieden
und Freiheit zu leben. Deshalb haben wir als Gemeinschaft der Demokraten die
Pflicht, das Recht mit Mitteln des Rechtsstaats zu verteidigen. Die
Verantwortung des Staates und unsere Scham angesichts seines Versagens hat
die Bundesjustizministerin dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie jetzt
schnell und unbürokratisch eine Opferentschädigung ermöglicht hat. Dafür,
Frau Justizministerin, gehört Ihnen der Dank des ganzen Hauses. (Beifall bei der FDP … ) Wir müssen die Sicherheitsarchitektur in Deutschland
in den Blick nehmen. Die föderale Struktur hat ihre Stärken; im Bereich der
Sicherheitspolitik - das haben wir gesehen - hat sie sich allerdings nicht
bewährt. Wir müssen den Rechtsstaat so effizient machen, dass er trotzdem
weiter dem Recht unterworfen bleibt. Für uns ist es eine Lehre der
Geschichte, dass Geheimdienstarbeit und Polizei getrennt bleiben. Für uns ist
es eine Lehre der Geschichte, dass der Rechtsstaat selbst an das Recht und
den Schutz der Privatheit der Menschen gebunden ist. Deshalb heiligt auch
jetzt nicht der Zweck die Mittel. Auf Rechtsstaatlichkeit, auch bei den
Reaktionen, werden wir bestehen. (Beifall bei der FDP … ) Ein letzter Gedanke, Herr Präsident, ich habe die
Uhr gesehen. - Wir führen eine Debatte über ein Verbot der NPD. Fraglos ist
diese Partei verfassungsfeindlich. Demokraten dürfen sich aber nicht hinter
dem Verbot einer Partei verstecken. Die eigentliche Aufgabe ist nämlich eine
andere: Die NPD spricht inzwischen von einem bürgerlichen, einem seriösen
Radikalismus. Sie infiltriert die soziale Infrastruktur in manchen
Landschaften Deutschlands. Da ist unsere Herausforderung als Demokraten, uns
dem Umfeld und den Sympathisanten der NPD und aller anderen Extremisten
entgegenzustellen. Dafür wird die Koalition die Mittel für eine wehrhafte
Demokratie in der Haushaltsplanung wieder erhöhen. Wir können auch über
Hürden sprechen, die Sie bei der Förderung beklagt haben. Trotzdem muss eines
für uns klar sein: Die Demokratie verteidigen, das können wir nur mit
Demokraten. |