D a s   L i b e r a l e   T a g e b u c h

Sammlung Originaldokumente aus „Das Liberale Tagebuch“, http://www.dr-trier.de

 

 

 

 

Liberaler Stil überwindet vergifteten Diskurs und fokussiert auf die Inhalte unterschiedlicher Parteien

 

Christian Lindner im Interview mit DIE ZEIT, 2. Mai 2012. Die Fragen stellten Peter Dausend und Heinrich Wefing

 

Kürzungen mit dem Ziel, die wichtigeren Aussagen hervorzuheben

 

Frage: Herr Lindner, Sie sagen, die FDP habe seit der Bundestagswahl 2009 in Stil und Inhalt viele Anhänger enttäuscht. In welchem Stil und in welchem Inhalt konkret?
Lindner: Ich will es positiv sagen, wie wir es in Nordrhein-Westfalen jetzt machen. Die anderen Parteien sprechen nicht über Themen, sondern plakatieren etwa, SPD sei Currywurst. Die Spitzenkandidatin der Grünen bestreitet ihren Wahlkampf damit, mich persönlich zu attackieren. Wir sprechen dagegen ernsthaft über Richtungsentscheidungen für das Land, bei den Finanzen, beim Gymnasium, in der Energiepolitik. Ich attackiere keinen der Wettbewerber persönlich, weil ich ja auch keinem Kompetenz und ehrliche Motive abspreche. Die haben nur eine andere Meinung. In dieser Weise, im respektvollen, ernsthaften Auftreten, hat die FDP als liberale Partei einen eigenen Stil.



Frage: Wo hat die FDP konkret enttäuscht?
Lindner: Es gab nach der Großen Koalition die Erwartungen an die FDP, überall schnelle und tiefgreifende Reformen umzusetzen. Diese Erwartungen haben wir nicht gedämpft, weil wir uns natürlich über Zuspruch gefreut haben.

Frage: Woran denken Sie da?
Lindner: Wir haben uns an das Versprechen, die Steuern zu senken, sehr lang gebunden gefühlt. Dabei hatten sich durch die Staatsschuldenkrise in Europa die wirtschaftlichen Bedingungen völlig verändert. Situationsadäquates Handeln macht Professionalität aus. Man kann nur dann Vertrauen in jemanden haben, wenn man weiß: Ich gebe ihm Macht, aber er hat die Übersicht, nicht wie ein Roboter stur der Programmierung zu folgen.



Frage:
Wie wollen Sie Vertrauen zurückgewinnen?
Lindner: Viele Menschen, die ich jetzt treffe, sagten noch vor kurzem: nie wieder FDP – aus unterschiedlichen Motiven. Jetzt in Nordrhein-Westfalen sind sie aber wieder bereit, uns eine Chance zu geben, vor allem aus einem Grund: Wir haben für eine neue Prioritätensetzung, die Befreiung des Staates aus den Ketten der Verschuldung, unsere Landtagsmandate in die Waagschale geworfen. Lieber neue Wahlen als neue Schulden.

Frage: Andere sagen, es liegt schlicht an Ihnen. Medial werden Sie gefeiert, als sei der FDP ein Heiland erschienen.
Lindner: An der Debatte beteilige ich mich nicht. Da erfinden Beobachter ihre eigenen Begriffe, bauen Erwartungen auf, nur um bei nächster Gelegenheit zu sagen: Schaut her – das ist ja gar kein Heiland. Das ist mir zu spielerisch.

Frage: Dann liegt es also nicht am Heiland, sondern nur am Spitzenkandidaten.
Lindner: Es geht bei der Wahl nicht um mich. Es geht um eine Frage der Haltung, des Lebensgefühls. Ich mag mein Leben, nehme es gern in die Hand, habe ein Verantwortungsgefühl, das ich nicht an den Staat abgeben will, freue mich auf morgen und erwarte etwas von der Zukunft. Ich will aber bei großen Fragen, Krankheit etwa, nicht alleine gelassen werden. Ansonsten brauche ich niemanden, der mir sagt, was ich tun soll, mich mit moralischem Zeigefinger belehrt. Wenn von denen, die so fühlen wie ich, viele sagen: „Ja, wir stärken die FDP, weil wir jetzt wieder Potenzial für die Zukunft sehen“, dann hätten wir etwas geschafft. Im Kern geht es also um das Bekenntnis zu einer liberalen Partei.

Frage: Ist das ein bürgerliches Lebensgefühl? Das Leben selbst in die Hand nehmen, Optimismus, sich nichts vorschreiben lassen.
Lindner: Für mich hat Bürgerlichkeit zwei Dimensionen, die man nicht trennen darf. Die eine Dimension ist der Wunsch, sich in die Gesellschaft einzubringen, in der Politik und in der Öffentlichkeit mitzusprechen. Die andere Dimension ist, das eigene Private zu verteidigen, Sorge für den eigenen Lebensunterhalt zu tragen. Der Philosoph Odo Marquard hat einmal exakt seziert, dass politisch linke Ideen versuchen, die beiden Dimensionen zu trennen. Wer nur den Citoyen sieht, aber nicht die Verwurzelung des Bürgers auch in Beruf und Leistungsethos, verkennt Bürgerlichkeit, sagt Odo Marquard. So sehe ich es auch.

Frage: Gehören zur Bürgerlichkeit auch eine bestimmte Umgangsform, ein bestimmter Stil dazu?
Lindner: Für mich schon. Der politische Diskurs ist mitunter so vergiftet, dass gar nicht über die Unterschiede in der Sache gesprochen wird, sondern nur mit Unterstellungen, Etiketten, Vereinfachungen, Anwürfen gearbeitet wird. Ich finde das unangenehm. Es ist allzu oft auch Ausdruck eigener Ratlosigkeit. Die NRW-Grünen attackieren in ihren Wahlkampfspots vornehmlich die FDP, mit lächerlichen Witzen, ohne eigene Antworten auf für dieses Land wichtige Fragen zu geben. Das ist doch eine programmatische Kapitulation, eine Bankrotterklärung.



Lindner: … Auch bei dieser Landtagswahl hat die CDU den Anspruch aufgegeben, eine bürgerliche Alternative zu Rot-Grün sein zu wollen. Das Erbe treten wir gerne an.
Frage: Woran machen Sie das fest?
Lindner: Die CDU sagt, sie wolle in eine Koalition mit einer der beiden bisherigen Regierungsparteien eintreten, egal welcher, also Rot-Schwarz oder Schwarz-Grün. Die Schattenenergieministerin von Norbert Röttgen bezeichnet die unwirksame und hochbürokratische rot-grüne Klimaschutzpolitik als im Grunde richtig, die Klagen über steigende Energiepreise seien vielfach unbegründet. Und bei der Benachteiligung der erfolgreichsten und beliebtesten Schulform, dem Gymnasium, ist die CDU den Grünen auch auf den Leim gegangen. Der Schulkonsens, den die Union mit Rot-Grün geschlossen hat, stellt langfristig die Weichen Richtung Einheitsbildung.

Frage: Die FDP war immer dann attraktiv für Wähler, wenn sie eine Machtperspektive hatte. Müssen Sie nicht, da Röttgen und die CDU sich abwenden, offensiv für die Ampel werben?
Lindner: Wenn die CDU beliebig wird, sollte die FDP umso eindeutiger ihre Unabhängigkeit unterstreichen. Dazu gehören bestimmte Werte, die man bürgerlich nennen kann: Selbstbestimmung, Verantwortungsgefühl, gesunder Menschenverstand. In diesem Sinne sehe ich die FDP als einen eigenständigen Faktor in der Landespolitik: Für diese FDP werbe ich, nicht für diese oder jene Koalition.

Frage: Wenn die Piraten so stark werden, dass Rot-Grün es nicht allein schafft, landet die für tot erklärte FDP am Ende auf der Regierungsbank – dieser Clou muss Sie doch reizen.
Lindner: Koalitionen brauchen Gemeinsamkeiten. Gegenwärtig sehe ich vor allem mit Blick auf die Grünen fundamentale Unterschiede. Nehmen wir nur mal die Finanzen. Die Grünen wollen nicht sparen, sondern Steuern erhöhen, sagen sie. Damit zeigen sie genau die Mentalität, die das Kernproblem der Politik ist und die wir mit der NRW-FDP verändern wollen. Wir können als Politiker nicht auf Dauer das Geld schneller ausgeben, als Bürgerinnen und Bürger in der Lage sind, es uns zur Verfügung stellen.

Frage: Ist das eine Absage an die Ampel?
Lindner: Das ist die Beschreibung fundamentaler Unterschiede zu den Grünen. Und wenn uns Inhalte egal wären, hätten wir statt in Neuwahlen zu gehen doch längst schon bequem in eine Ampel-Koalition eintreten können.



Frage: Kommen sich FDP und Grüne nicht automatisch über ihre gemeinsame Gegnerschaft zu den Piraten näher?
Lindner: Bei den Bürgerrechten im Internet fordern die Piraten, was wir in der Regierung bereits umsetzten - Stichwort Vorratsdatenspeicherung. Ansonsten zeigt deren Kostenlosmentalität eine Verwandtschaftsbeziehung zu linken Positionen, vielleicht mit einer Prise Anarchie. Vor allem sehe ich nicht, dass FDP und Grüne hier Seite an Seite im Wettbewerb stünden. Dazu sind die Unterschiede in ihrem jeweiligen Bild von Bürgerinnen und Bürgern zu unterschiedlich. Die Grünen treten oft auf wie die Kindergärtnerinnen der Republik, die erwachsene Menschen zu ihrem Glück zwingen wollen.

Frage: Betonen Sie die Unterschiede zu den Grünen nicht nur deshalb, um CDU-Wähler, die mit Herr Röttgen unzufrieden sind und eine Alternative suchen, nicht abzuschrecken?
Lindner: Durch was sollten wir abschrecken? Durch unserer Eintreten für die Soziale Marktwirtschaft? Das schätzen eher die ehemaligen Friedrich-Merz-Wähler. Ich begreife die FDP generell nicht als Teil irgendeines Lagers, sondern als echte liberale Partei der Mitte. Mit einem Liberalismus ohne Bindestrich. Und in einer Tradition, die von Otto Graf Lambsdorff über Hans-Dietrich Genscher bis zu Gerhart Rudolf Baum reicht.

Frage: Sie haben sich für Ihren Wahlkampf von Berlin professionelles, geräuscharmes Regierungshandeln gewünscht. Der Wunsch wird Ihnen nicht erfüllt. Die Koalition streitet über Betreuungsgeld, Quote, Praxisgebühr, Vorratsdatenspeicherung.
Lindner: Es schwächt natürlich das Vertrauen in eine Regierung, wenn sie öffentlich fortwährend streitet. Die Leute wollen nicht täglich durch das Betonen der Unterschiede genervt werden. Umfragen zeigen, dass überwiegend die FDP für Streit in der Koalition verantwortlich gemacht wird - ob das nun so ist oder nicht. Daraus muss man Konsequenzen ziehen. Man muss sich nicht alles vom Partner gefallen lassen, aber man muss auch nicht bei jeder Äußerung aus der fünften Reihe alle Abfangjäger aufsteigen lassen.