Chrisitan Lindner macht Nägel mit Köppen
Im Interview mit dem „Hamburger Abendblatt“,
10.04.11.
Fragen von Jochen Gaugele, Matthias Iken und Christian
Frage: Herr Lindner,
was empfinden Sie, wenn Sie an Guido Westerwelle denken?
Lindner:
Respekt und Anerkennung für zehn erfolgreiche Jahre als Vorsitzender der FDP.
Frage: Auch
Mitleid?
Lindner:
Nein, das hat er nicht nötig. Er ist eine Persönlichkeit, ein Routinier der
Politik und wird als Außenminister seine politische Arbeit fortsetzen.
Frage: Ist es
anständig, wenn ein Generalsekretär gegen seinen Parteichef putscht?
Lindner: Wie
kommen Sie auf die Idee, hier sei geputscht worden? Guido Westerwelle hat
selbst entschieden.
Frage: Der
Eindruck war ein anderer.
Lindner: Es
war seine souveräne Entscheidung, das Parteiamt zur Verfügung zu stellen.
Mein persönliches Vertrauens- und Loyalitätsverhältnis zu ihm ist ungetrübt.
Wir haben diese schwierige Phase ohne persönliche Verletzungen gestaltet.
Frage: Warum
haben Sie den Parteivorsitz nicht gleich selbst übernommen?
Lindner:
Philipp Rösler ist ein kompetenter, durchsetzungsstarker Politiker und
nebenbei auch noch sympathisch. Er führt das Team. Meine Arbeit am neuen
Grundsatzprogramm ist nicht abgeschlossen - eine historische Gelegenheit die
FDP programmatisch zu erneuern. Außerdem scheint es mir unpassend, mit 32
Jahren, noch unverheiratet, noch kinderlos eine Regierungspartei zu führen.
Frage: Was
wird aus den Wahlverlierern Homburger und Brüderle?
Lindner: Wir
haben ein Team gebildet, das viel stärker ist als einer alleine es wäre. Dazu
gehören auch Rainer Brüderle, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Birgit
Homburger.
Frage: Ein
Generationswechsel sieht anders aus.
Lindner: Wir
werden mindestens fünf Positionen im Präsidium neu besetzen. Das ist ein
Wechsel an der Parteispitze, wie es ihn in der Geschichte der FDP noch nicht
gegeben hat.
Frage: Wird
die Hamburger Wahlsiegerin Katja Suding dazugehören?
Lindner: Es
ist noch zu früh, über einzelne Namen für das Präsidium zu sprechen. Katja
Suding wird die FDP weiter verstärken, auch über Hamburg hinaus.
Frage: Welche
Autorität hat ein 38 Jahre alter Parteichef, der spätestens mit 45 in den
politischen Ruhestand will?
Lindner: Bis
dahin ist ja noch genug Zeit. Philipp Rösler geht mit Leidenschaft in die
Verantwortung. Daraus leitet sich seine Autorität ab.
Frage:
Vielleicht ahnt Rösler ja, dass die FDP 2018 keine Rolle mehr spielt...
Lindner: Spaß
beiseite. Deutschland braucht eine Partei wie die FDP. Wir behandeln die
Bürger wie Erwachsene, die ihr Leben selbstverantwortlich gestalten. Die
Sozialdemokraten und vor allen Dingen die Grünen behandeln die Bürger wie
Kinder – mit dem moralischem Zeigefinger. Liberale wehren sich dagegen, dass
ein feines Gespinst an Geboten und Verboten, Gesetzen und Subventionen über
das Leben der Menschen gelegt wird.
Frage: Wollen
die Bürger so viel Freiheit?
Lindner:
Absolut! Die 14,6 Prozent, die uns bei der Bundestagswahl gewählt haben, sind
doch keine anderen Menschen geworden. Die sind immer noch
leistungsorientiert, aber mit Verantwortung für das Ganze. Die verstehen
unter Fairness und Solidarität immer noch Chancengerechtigkeit und nicht eine
gleichmacherische Sozialpolitik.
Frage: Jetzt
würden nur noch drei Prozent die FDP wählen.
Lindner: Weil
wir im Regierungshandeln enttäuscht haben. Zu wenig Fortschritt, vereinzelt
Rückschritte.
Frage: Der
Philosoph Peter Sloterdijk hat die FDP in der „Zeit“ mit einer Bank
verglichen, die ihre Geschäfte nur noch mit Illusionspapieren betrieben
hat...
Lindner: Ein
Bonmot. Am Mittwoch hat er eine Rede in Berlin gehalten. Er hat begründet,
dass es in Deutschland eine klassisch liberale Kraft braucht, allein schon
als Korrektiv. Deshalb müssen wir die FDP wieder erfolgreich machen
Frage: Die
FDP ist also systemrelevant. Werden die Liberalen einen Rettungsschirm
beantragen?
Lindner: Das
wird nicht nötig sein. Wir nehmen Sloterdijk als Ansporn. Die FDP muss über
Fragen, die materiellen Charakter haben, hinausdenken. Wir müssen unsere
Programmatik in eine neue Balance bringen. Die Wirtschaftskompetenz bleibt
zentral. Aber wir müssen größeres Gewicht auf Felder wie Bildung, sozialen
Aufstieg und Integration legen. Die Sicherung der Privatheit muss uns ein
Herzensanliegen sein. Der Schutz persönlicher Daten im Internet ist ein
zentrales liberales Thema.
Frage: Rainer
Brüderle warnt schon vor Säuselliberalismus.
Lindner: Ich
bin ebenfalls für klare Positionen.
Frage: Bleibt
die FDP eine Steuersenkungspartei?
Lindner: Ja,
aber eben nicht nur.
Frage: Das
bedeutet?
Lindner: Wir
wollen die Menschen entlasten. Aber die ökonomischen Rahmenbedingungen haben
sich so verändert, dass der Schuldenabbau und die Steuervereinfachung
Priorität haben.
Frage: Wann
sinken die Steuern?
Lindner: Das
hängt von den Fortschritten bei der Haushaltskonsolidierung ab. Überflüssige
Ausgaben, wie sie etwa die CSU mit dem Betreuungsgeld plant, müssen wir daher
vermeiden. Wir halten an unserem Ziel fest, die kleineren und mittleren
Einkommen noch in dieser Wahlperiode zu entlasten.
Frage: Was
wird aus den Steuergeschenken für Hoteliers?
Lindner: Die
Regierung muss bis zum Sommer ihr Konzept für eine Mehrwertsteuerreform
vorlegen. Nahrungsmittel und Kulturgüter sollen weiter den ermäßigten
Mehrwertsteuersatz bekommen. Alles andere prüfen wir. Das
Beherbergungsgewerbe hätte man nicht isoliert von der Gesamtreform regeln
dürfen, obwohl dort Investitionen und neue Arbeitsplätze die Folge waren. Die
Entscheidung hat die FDP in die Defensive gebracht.
Frage: Wird
die FDP zur Anti-Atomkraft-Partei?
Lindner: Die
FDP ist nie eine Atomkraftpartei gewesen.
Frage: Ihre
Wende in der Energiepolitik ist jedenfalls atemberaubend.
Lindner:
Keine Wende, sondern Beschleunigung vorheriger Pläne. Fukushima hat alle
Parteien dazu gebracht, ihre Zeitpläne zu verändern. Die Grünen wollten die
Kernkraftwerke bis 2022 laufen lassen. Jetzt wollen sie den letzten Meiler
2017 stilllegen. Das ist utopisch.
Frage: Wie
sieht Ihr Zeitplan jetzt aus? Ähnlich wie der Atomkonsens von Schröder und
Trittin?
Lindner:
Nein, wir wollen schneller auf Kernkraft verzichten, als dies im
schwarz-gelben Energiekonzept vorgesehen ist. Aber es kann kein Zurück zu den
rot-grünen Vorstellungen geben. Unter den Aspekten der Wirtschaftlichkeit,
der Versorgungssicherheit und der Klimaverträglichkeit halte ich es für
unrealistisch, 2022 das letzte Kernkraftwerk vom Netz zu nehmen. Würden wir
die Laufzeiten überhaupt nicht verlängern, müssten wir neue Kohlekraftwerke
bauen.
Frage: Sie
hemmen den Ausbau der erneuerbaren Energien.
Lindner: Im
Gegenteil ist keine Regierung ehrgeiziger als wir. Wir schaffen überhaupt
erst die Voraussetzungen. Dazu gehört ein beschleunigter Netzausbau. Wir
müssen erheblich mehr Geld in die Hand nehmen, um neue Stromleitungen zu
bauen – Geld des Staates und Geld der Verbraucher. Möglicherweise muss man
bei der Planung vorgehen wie nach der Deutschen Einheit: mit Planfeststellung
per Gesetz.
Frage: Damit
treiben Sie die Bürger auf die Barrikaden.
Lindner: Das
glaube ich nicht. Nach Fukushima gibt es Akzeptanz in der Bevölkerung für die
Schaffung eines Energienetzes, das mehr Strom aus Sonnen- und Windkraft in
die Haushalte transportiert.
Frage: Was
soll mit Krümmel und den anderen stillgelegten Kraftwerken geschehen?
Lindner:
Meine Erwartung ist, dass die weit überwiegende Zahl der stillgelegten
Altmeiler nicht mehr ans Netz geht. Diese Auffassung wird geteilt von
CDU-Generalsekretär Gröhe, der CSU, mehreren FDP-Landesverbänden, der
Opposition – und von 97 Prozent der Bevölkerung. Von Lindner allein zu Haus
kann also keine Rede sein.
Frage: Bleibt
die Union der einzig mögliche Koalitionspartner der FDP?
Lindner: Die
FDP muss mit allen demokratischen Parteien prinzipiell koalitionsfähig sein –
aber nicht zu jedem Zeitpunkt mit jedem. In Hamburg beispielsweise sahen
SPD-Persönlichkeiten wie Henning Voscherau eine sozialliberale Perspektive.
In Nordrhein-Westfalen ist das schwieriger. Die FDP kann der grün-roten
Verschuldungspolitik nicht die Hand reichen.
Frage: Und im
Bund?
Lindner: SPD
und Grüne haben sich programmatisch von der Agenda 2010 entfernt und auf die
Linkspartei zubewegt. SPD und Grüne haben sich von Schröder und Fischer
wegentwickelt – hin zur Linken. Lafontaine bestimmt heute den Kurs von SPD
und Grünen stärker als zu seinen SPD-Zeiten. Eine Koalition kann ich mir da
nicht vorstellen.
Frage: Was
müssen Union und FDP bis zum Ende der Wahlperiode noch anpacken, damit
Schwarz-Gelb nicht als großes Missverständnis in die Geschichte eingeht?
Lindner:
Lassen Sie mich drei Felder herausstellen. Erstens: Wir bauen
Steuerbürokratie und Schulden ab. Zweitens: Wir verbessern Aufstiegschancen,
indem wir mehr tun für Frühförderung der Kinder und für die Integration von
Geringqualifizierten. Drittens: Wir sorgen für bürgerrechtliche Standards auch
im Internet. Das richtet sich nicht nur gegen den Staat, sondern auch gegen
private Unternehmen, die mit Daten hantieren.
Frage: Planen
Sie eine Fusion mit der Piratenpartei?
Lindner:
(lacht) Nicht alles, was die Piratenpartei sagt, ist schlecht. Manches stammt
ja aus dem Programm der FDP.
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