LINDNER-Interview
für die „Rheinische Post“
31. August 2011
Christian Lindner beantwortete die
Fragen von Sven Gösmann und Michael Bröcker:
Frage: Die FDP diskutiert wieder
einmal über ihren Außenminister. Wie lange kann sich die Partei Guido
Westerwelle noch leisten?
Lindner: Diese Debatte wird von
unseren Gegnern geführt, nicht von uns. Unser Parteivorsitzender hat über die
Teamaufstellung entschieden. In der Sache hat die FDP ihre Position klar
gemacht. Wir empfinden Respekt für die Leistung unserer Verbündeten beim
Einsatz in Libyen und Hochachtung vor dem libyschen Volk. Jetzt werden wir
zivil unseren Beitrag leisten, dass unsere Nachbarn in Nordafrika eine
bessere Zukunft bekommen.
Frage: Hat Guido Westerwelle nicht zu
spät reagiert mit seiner Solidaritätsadresse an die Nato?
Lindner: Die Debatte wird sehr
kleinlich. Man müsste einmal die Äußerungen von Jürgen Trittin und Sigmar
Gabriel aus dem Archiv holen. Aber entscheidend ist die Botschaft, die jetzt
insgesamt von Deutschland ausgeht. Die Befürchtungen hinsichtlich der
Militäroperation und der anschließenden Sicherung des Friedens haben sich
bislang zum Glück nicht bestätigt. Jetzt warten Aufgaben auf uns. Die Personaldebatte
ist beendet.
Auch zwei prominente Liberale (Baum,
Bauckhage) sind noch keine Träger einer „Personaldebatte“. Insofern ist die
Aussage fehlerhaft, weil die sog. Personaldebatte von den „Gegnern“ der
Liberalen, wie Lindner selber anmerkte geführt wurde.
Also: Wollt Ihr die perfekte FDP? Antwort: Nein danke.
Frage: Der Parteichef
hat offenbar auf den Außenminister eingewirkt. Haben Sie auch versucht Guido
Westerwelle zu überzeugen?
Lindner: Bitte keine Dramatik. Dass
die Führung insgesamt miteinander im Gespräch ist, halte ich für unsere
Stärke.
Frage: Ist Guido Westerwelle nicht,
um ein altes Wort des CDU-Umweltministers Norbert Röttgen zu bemühen,
irreparabel beschädigt?
Lindner: Norbert Röttgen hat sich
damals für diese Entgleisung entschuldigt.
Frage: Trotzdem: Stimmt es?
Lindner: Allein schon diese
Kategorien von Beschädigung und Reparatur will ich nicht kommentieren. Diese
Personaldebatten sind mitunter überreizt und ich glaube auch für Ihre Leser
nervtötend. Wir widmen uns auf unserer Klausur drängenden Fragen. Welchen Weg
geht Europa? Wie erneuern wir die Ordnung für die freien Märkte im Sinne von
Otto Graf Lambsdorff, damit wieder Vertrauen wächst? Wie machen wir den Staat
gesund, damit er handlungsfähig bleibt? Stabiles Wachstum und Entschuldung
haben für uns Priorität.
Frage: Und Guido Westerwelle kann als
Außenminister in der Euro-Debatte noch eine führende Rolle spielen und 2013
für die FDP in die Bundestagswahlen ziehen?
Lindner: Seinen Anspruch hat er
gerade erst vergangenen Sonntag in einem großen Gastbeitrag inhaltlich
unterlegt. Wir wollen mehr Europa, mehr gemeinsame Werte und Regeln. Was wir
aber nicht wollen, das sind mehr Schulden und mehr Bürokratismus. Nationale
Mentalitäten müssen sich entfalten können, Europa sollte Motor für die
Erwirtschaftung von Wohlstand und nicht für dessen Umverteilung sein. Die
Zusammenarbeit in Europa sollte künftig auch differenziert sein, etwa könnten
einige Staaten in bestimmten Feldern vorangehen. Das ist der Umriss einer
Stabilitätsunion.
Frage: Die Kanzlerin und die CDU
haben die Enthaltung beim Libyen-Einsatz mitgetragen. Ihr Außenminister steht
in der Kritik. Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?
Lindner: Die Entscheidung war eine
gemeinsame der Bundesregierung. Und damit ist das jetzt auch abgehakt.
Frage: CDU-Ministerin von der Leyen
verlangt einen Pfand für Garantien an Schuldenländer. Was halten Sie davon?
Lindner: Staaten wie Griechenland
sollen nach den aktuellen Beschlüssen ihre staatlichen Industriebeteiligungen
privatisieren, um die Schulden abzubauen. Gleichzeitig Verpfänden und
Verkaufen geht nicht.
Frage: Aber diese Privatisierungen
passieren in Griechenland doch kaum.
Lindner: Es kann schneller gehen, das
stimmt. Möglicherweise brauchen wir eine Art europäischer Treuhandanstalt,
die die Privatisierungsschritte in den überschuldeten Ländern übernimmt.
Frage: Wie viel mehr Europa geht mit
der FDP?
Lindner: Wir wollen klare Leitplanken
für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa, etwa zur Reduzierung der
Verschuldung. Europa muss aus der Abhängigkeit von den Finanzmärkten befreit
werden. Brüssel sollte Ländern aber nicht vorschreiben, wie sie diese Ziele
erreichen. Man kann ja nicht den Spaniern ihre mittägliche Siesta verbieten
oder die korporatistische Industriepolitik Frankreichs in Deutschland übernehmen.
Der Stabilitätspakt mit den Maastricht-Kriterien war richtig, aber leider
nicht vor der Politik sicher. Zukünftige Verschuldungsregeln müssen
verbindlicher sein und automatisch Sanktionen auslösen. Ohne dass also
Politiker eigens entscheiden müssen.
Frage: Was heißt das denn genau?
Lindner: Verstöße gegen die
gemeinsamen Regeln könnten den Stopp von europäischen Zahlungen nach sich
ziehen oder den Verlust von Stimmrechten in europäischen Gremien. Hier zeigt
sich übrigens das unterschiedliche Staatsverständnis von uns und linken
Parteien. Wir wollen keinen Staat, in dem Politiker nach Opportunität
entscheiden, sondern einen, in dem Regeln gelten, nach denen sich alle
richten müssen. Auch Politiker. Vorbild ist die deutsche Schuldenbremse, die
einen Mentalitätswandel bewirkt hat. Raus aus den Schulden, hin zu
nachhaltigem Wirtschaften. Die Staaten müssen wieder gesund werden. So muss
auch ie Priorität in der deutschen Haushaltspolitik sein.
Frage: Der Euro-Rettungsschirm steht
Ende September im Bundestag zur Abstimmung. Mit wie vielen Abweichlern
rechnen Sie?
Lindner: Der Vertragsentwurf liegt ja
noch nicht einmal jedem Abgeordneten vor. Klar ist, dass wir einen
Zustimmungsvorbehalt des Parlaments benötigen. Und zwar im Sinne eines
Bundeswehr-Mandats. Die grundlegenden Entscheidungen, etwa neue finanzielle
Hilfen, müssen jeweils vom Bundestag bewilligt werden. Aber die operative
Führung der Maßnahmen obliegt natürlich der jeweiligen Institution, also dem
ESFS oder später dem ESM.
Frage: Sie, Philipp Rösler und Daniel
Bahr stehen für neue inhaltliche Akzente, auch soziale Themen. Warum sperren
sie sich gegen eine Transaktionssteuer?
Lindner: An der FDP würde das nicht
scheitern. Es gibt aber bessere Alternativen zu dieser Finanz-Mehrwertsteuer,
die die Banken einfach an Sparer weitergeben werden. Vor allem haben wir aber
die Bedingung, dass die Transaktionssteuer nicht nur im Euro-Raum, sondern in
ganz Europa eingeführt wird. Wenn man den Finanzplatz London nicht mit
einbezieht, wird es zu einem Abfluss von Kapital und Wirtschaftskraft kommen.
Frage: London hat doch eine
Börsenumsatzsteuer?
Lindner: Ist das ein Grund, unsere
Wettbewerbsfähigkeit zu verschlechtern? Ich würde ohnehin vorziehen, wenn man
statt des Umsatzes den Gewinn einer Bank oder die Boni der Banker besteuern
würde.
Frage: Also wird es mit der neuen FDP
auch keine höhere Besteuerung von Vermögenden geben?
Lindner: Was sagt dazu der
Familienvater, der wegen dieser Steuer vielleicht seine Arbeit verliert? Die
Wirtschaftslage ist gut. Wir sollten aber keine finanzpolitischen Experimente
wagen. Wenn Millionäre glauben, zu wenig Steuern zu zahlen, dann sollten sie
in ihren Unternehmen mehr Leute einstellen. Nicht alles Soziale muss über den
Umweg des Staates erfolgen.
Frage: Die Umfragen für die FDP sind
100 Tage nach dem Führungswechsel verheerend. Welchen Anteil trägt der
Generalsekretär?
Lindner: Denselben wie alle in
unserer Führung, denn wir tragen gemeinsam Verantwortung. Wir haben noch viel
zu tun.
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