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s L i b e r a l e T a g e b u c h
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Sammlung
Originaldokumente aus „Das Liberale
Tagebuch“, http://www.dr-trier.de |
Nur Bildung bringt den Segen der Freiheit
Christian Lindner Mit ihrem neuen Sozialwort zeigen die
katholischen Bischöfe, dass die Idee der Freiheit eine neue Debatte verdient. Sicherheit und Gleichheit werden in Deutschland
wichtiger genommen als die Freiheit. Die katholischen Bischöfe haben zu
diesem egalitären Zeitgeist nun einen bemerkenswerten Kontrapunkt gesetzt. Er
ist eine Einladung zu einer vertieften Wertedebatte. Mit ihrem in der
vergangenen Woche vorgestellten Sozialwort „Chancengerechte Gesellschaft:
Leitbild für eine freiheitliche Ordnung“ setzen sie sich pointiert mit der
Idee der Freiheit auseinander. In der gesellschaftspolitischen Debatte auch in
beiden großen Kirchen dominierte bislang die Vorstellung, das Glück des
Menschen verbinde sich in erster Linie mit dem Streben nach Sicherheit und
Gleichheit – und nicht so sehr mit dem Segen der Freiheit. Dabei hatte
bereits Papst Johannes Paul II. in der freiheitlichen Idee den zentralen
Konstruktionspunkt kirchlicher Sozialverkündigung erblickt – daran erinnert
Kardinal Reinhard Marx bereits im Vorwort der jüngsten Schrift der Bischöfe.
Jene in der Kirche, die sich vor der Freiheit und deren Triebkraft als Quelle
von Entwicklung und Fortschritt fürchten, werden sich deshalb am wenigsten
auf diesen großen Papst berufen können. Ablehnung ökonomischer Realitäten
Und es war der evangelische Pastor Joachim
Gauck, der nach dem Dresdner Kirchentag mit der Bemerkung zitiert wurde, er
habe dort eine nahezu infantile Ablehnung ökonomischer Realitäten beobachten
müssen. Auf der Veranstaltung sprach Gauck auch über seinen Eindruck, in Deutschland
gebe es mitunter eine „Angstsucht“. Von Angst sollten sich aber weder die
Kirchen noch die Bürger leiten lassen. Die offene Gesellschaft, die wir
Liberale meinen, ist das Versprechen des „angstfreien Andersseindürfens für
alle“, wie es Odo Marquard ausgedrückt hat. Es setzt voraus, dass Menschen
von äußeren Zwängen befreit sind – dass niemand mehr Macht über mein Leben
hat als ich selbst. Freiheit kann sich aber nicht in der Gewährung
bloß formaler Möglichkeiten erschöpfen, die im alltäglichen Leben nicht
verwirklicht werden: In der Theorie könnte in einer offenen Gesellschaft
jeder alles erreichen. Fehlt aber Qualifikation oder bremsen bürokratische
Lasten, klingt das Aufstiegsversprechen hohl. Deshalb definieren auch die
Bischöfe die Freiheit nicht lediglich als Abwesenheit von Zwang, sondern
positiv als „Freiheit zur Bestimmung und zur Verwirklichung eigener Ziele“.
Und weiter: „Mit Freiheit ist notwendigerweise ein gewisses Maß an
Ungleichheit verbunden, die sich schon aus der Einmaligkeit der Person
ergibt.“ Ziel sei deshalb nicht die Gleichheit. Auch Liberale bedauern
Ungleichheit nicht, sondern akzeptieren sie als notwendigen Preis der
Freiheit. Denn erst das Recht, sich unterscheiden zu dürfen, macht das
selbstbestimmte Individuum aus. Erst die Selbstorganisation von Bürgern
jenseits des Staates setzt Energien für den kreativen Wettbewerb um die
besten Ideen frei. Pflicht zum Subsidiaritätsprinzip
Wie die Kirchen weiß auch der Liberalismus um
die Fehlbarkeit und Verführbarkeit des Einzelnen. Er will dem aber nicht mit
Diktaten begegnen, die am Ende nur zu schaler Gleichförmigkeit führen. Er
lässt die Menschen nicht in dem Glauben, bürokratische Überinstanzen könnten
besser für ihn entscheiden als er selbst. Der Liberalismus kämpft stattdessen
für Staat und Gesellschaft, die den Einzelnen dazu befähigt, sich im Spiel
des Wettbewerbs zu bewegen und zu bewähren. Die Idee der Freiheit ist damit auch eine Aufforderung
zum produktiven Miteinander. Sie ermutigt zu Teilhabe und Eigenverantwortung.
Hier schließt sich der Kreis zum Subsidiaritätsprinzip, auf das die Bischöfe
ausdrücklich Bezug nehmen: „(Der Mensch) steht in der Pflicht, die ihm
gegebenen Möglichkeiten zu nutzen, bevor er Hilfe durch die
Solidargemeinschaft in Anspruch nimmt“, schreiben sie. Bildung als Schlüsselaufgabe
Ungleichheit ist allerdings nur dann legitim,
wenn sie das Ergebnis eines fairen und offenen Wettbewerbs ist. Deshalb
plädieren die Bischöfe für die Herstellung von Beteiligungs- und
Befähigungsgerechtigkeit: „Dem Einzelnen müssen Wege in die Gesellschaft
eröffnet werden – und zwar nicht einmal, sondern immer wieder.“ Dem können
Liberale aus vollem Herzen zustimmen. Deshalb sehen wir in fairen Bildungschancen
die sozialpolitische Schlüsselaufgabe. Und deshalb treten wir für einen
aufstiegsorientierten Sozialstaat ein, der nicht Umverteilung organisiert,
sondern Chancen eröffnet. Gute Sozialpolitik muss am Ende zu
Beschäftigung aktivieren, denn Erwerbsarbeit ist eine zentrale Ressource der
Selbstbestimmung. Aus diesem Grund wollen wir auch nicht zuerst die
Sozialleistungen erhöhen, sondern Hürden für die Wiederaufnahme von Arbeit
senken. Dazu haben wir zum Beispiel im vergangenen Jahr die Möglichkeiten,
zum Arbeitslosengeld II etwas hinzu zu verdienen, verbessert. Eine nochmalige
Verbesserung in dieser Legislaturperiode ist übrigens möglich und nötig. Mit ihrem neuen Sozialwort haben die
katholischen Bischöfe eindrucksvoll vor Augen geführt, warum die Idee der
Freiheit eine neue gesellschaftliche Debatte verdient. Nicht in allen Punkten
decken sich ihre Schlussfolgerungen mit denen der liberalen Partei. (Für die FDP
folgt aus dem Vertrauen auf souveräne Bürger zum Beispiel, dass finanzielle
Mittel im Zweifel bei den Bürgern immer besser aufgehoben sind als beim
Staat). Doch wenn es um eine neue Balance zwischen Freiheit und Gleichheit in
unserer Gesellschaft geht, dann wird man diese außergewöhnliche Wortmeldung
der Kirche keinesfalls übergehen können. Sie muss all jene nachdenklich
stimmen, innerhalb und außerhalb der Kirchen, die der Ordnung der Freiheit
ihren ethischen Geist absprechen. |