D a
s L i b e r a l e T a g e b u c h
|
Sammlung Originaldokumente
aus „Das Liberale Tagebuch“, http://www.dr-trier.de |
Erhard Eppler, auf dem Bundesparteitag der SPD
Auf der Basis des von der
SPD verteilten Textes mit der Tonaufnahme abgeglichen. Abweichungen davon nur
im Falle offenkundiger Versprecher. „Applaus“, „Lachen“ usw. in Klammern
hinzugefügt. Die Rede wurde als „50
Jahre nach Godesberg“ angekündigt. Damit befasst sich Eppler jedoch nur am
Rand, schweifte statt dessen auf „Marktradiaklismus“
und tagesaktuelle Themen ab. Die Rede ist von
philosophischen, konzeptionellen, strategischen, taktischen und obendrein
sprachlichen haarsträubenden Fehlern durchwebt. Durch Kommentare wird auf die
gravierensten nach dem jeweiligen Absatz mit Begründung hingewiesen; ebenso
auf einige Bemerkungen, die aus liberaler Sicht tragen. Liebe Genossinnen und Genossen, zuerst einmal die herzlichen Grüße der AG 80 plus (Applaus), vor allem die von Jochen Vogel. Liebe Freunde, es stimmt ja, dass ich damals zu denen gehörte, die in der winzigen Godesberger Stadthalle das Godesberger Programm beschlossen haben. Es stimmt sogar, dass ich das gerne gemacht habe, schließlich mit einem Gefühl der Erleichterung und sogar der Befreiung, einem Gefühl, das dieser Parteitag vorgestern bei der Rede von Sigmar Gabriel erfahren hat (Applaus). Aber es stimmt auch, dass ich damals überhaupt nichts zu sagen hatte. Ich war überhaupt nur nach Godesberg gekommen, weil die wichtigen Leute im Unterbezirk diesen Parteitag nicht für wichtig gehalten haben. Es ist mir nichts eingefallen, was ich hätte sagen sollen und was andere nicht schon gesagt haben. Und wenn es mir eingefallen wäre, hätte ich nicht den Mut gehabt, in die Bütt zu gehen. Und wenn ich den Mut gehabt hätte, in die Bütt zu gehen, hätte mir keiner zugehört (Lachen). Jedenfalls ich bin am Godesberger Programm total unschuldig (Lachen). Und das ist wohl einer der Gründe, warum dieses das wichtigste Programm im 20. Jahrhundert geworden ist (allgemeine Heiterkeit, Applaus). Aber ich habe damals schon gewusst, dass diese Partei, seit es sie gibt und solange es sie gibt, davon lebt, dass es eine Spannung gibt zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll, zwischen der Wirklichkeit und dem Programm, und dass sie überhaupt nur existenzfähig ist, wenn sie beides ganz ernst nimmt, nämlich das, was ist, und das, was sein soll. Kein
Alleinstellungsmerkmal der SPD. Und diese Spannung zwischen beidem kann auf verschiedene Weise abfallen, und das ist gefährlich. In der Weimarer Republik ist diese Spannung abgefallen, weil die Distanz zwischen Wirklichkeit, zwischen praktischer Politik auf der einen Seite und eher revolutionärem Programm auf der anderen Seite zu groß war. Und da ist die Spannung nicht mehr entstanden. Aber diese Spannung kann auch abfallen, indem man das Programm gar nicht mehr erst nimmt, so wie das beim Berliner Programm passiert ist, das wir in vielen Jahren mühsam erarbeitet und dann systematisch vergessen haben. Nebenbei: Manches, worüber wir heute klagen, würde anders aussehen, wenn wir seinerzeit auch in den 90er-Jahren, in den Jahren vor Hamburg die Spannung zwischen Programm und Wirklichkeit wirklich ernst genommen hätten (Applaus). In Godesberg wurde zuerst einmal der Abstand zwischen beidem, zwischen Realität und Programm, verringert. Das Godesberger Programm war nicht identisch mit unserer Praxis, aber es war sehr viel näher an der Praxis als etwa das Heidelberger Programm. Und so kam die Spannung wieder auf. Dieses Programm, nebenbei, das wurde auch zitiert: von Fritz Erler, von Herbert Wehner, von Erich Ollenhauer, von Willy Brandt. Also auch von der Parteiführung wurde es ernst genommen und wurde ein Stück Orientierung für die Partei. Und es wurde auch ein Stück Ermutigung für die Partei. Damals wurden die Fenster aufgemacht, und zwar für alle, und es kam frische Luft herein für uns alle. Übrigens: Die Stimmung, in der wir diesen Parteitag damals begannen, war ziemlich ähnlich der Stimmung, in der dieser Parteitag begonnen hat. Wir hatten die dritte Wahl nach Gründung der Republik haushoch verloren, höher als die erste, höher als die zweite. Zwischen uns und der Union, die die absolute Mehrheit der Stimmen hatte, waren 18,4 Prozent. Und dann gab es dann immer noch in der Reserve die FDP. Das heißt, es war überhaupt nicht abzusehen, ob wir jemals an die Regierung kommen würden. Und sogar unsere sozialpolitische Kompetenz war damals nicht ganz unangekratzt. Denn 1957 hatte Konrad Adenauer die dynamische Rente angeregt und mit seiner Mehrheit – natürlich auch mit unserer Hilfe durchgesetzt. Also, es gab auch noch andere, die etwas von Sozialpolitik verstanden. Liebe Freunde, ich habe nicht die Absicht, jetzt hier einen historischen Vortrag zu halten. Das kann man an anderswo machen. Ich möchte mich auf ein paar Kernsätze dieses Programms konzentrieren, die bis heute wichtig sind. Der erste und wichtigste lautet: „Der Sozialismus ist eine dauernde Aufgabe, Freiheit und Gerechtigkeit zu erkämpfen, sie zu bewahren und sich in ihnen zu bewähren.“ (Applaus) Interessant; so handelt
die SPD allerdings nicht. Und das bedeutete für damals: Sozialismus ist nicht ein System, das man irgendwann einmal einführt, und das dann immer gilt und das dann alle Probleme löst. Sondern das ist eine Aufgabe, die überhaupt nie aufhört, weil nämlich die Geschichte nie aufhört und weil auch die Gegenkräfte nie aufhören. Und es ist die Aufgabe, aus unseren Grundwerten politische Wirklichkeit zu machen. Interessant; so handelt
die SPD allerdings nicht. Da gibt es sicherlich Skepsis, ob man das überhaupt tun kann. Und ich glaube, die Skepsis ist jedenfalls für das berechtigt, was unsere politischen Gegner machen. Die haben nämlich dieselben Grundwerte. Auch die Union redet von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Aber was ist denn der Unterschied? Eppler unterstellt im
Folgenden stillschweigend die Prämisse, dass viel Staat mit viel Steuern viel
Freiheit für die Empfänger von Sozialleistungen bedeutet Der Unterschied ist, dass diese Grundwerte bei den anderen gewissermaßen auf einer Balkenschaukel sitzen: Wenn das eine oben ist, ist das andere unten. Wenn zu viel Freiheit ist, ist zu wenig Gerechtigkeit. Wenn die Gerechtigkeit zu viel wird, so sagen sie, dann leidet die Freiheit. Das heißt dann kommt man auf die Idee, man müsste die auszutarieren auf der Balkenschaukel, dass es auf beiden Seiten gleich ist. Also, ja nicht zu viel Gerechtigkeit, damit die Freiheit nicht leidet; ja nicht zu viel Solidarität, wiederum, dass die Freiheit nicht leidet. Sigmar Gabriel, der neue
PV, beklagte am 13.11.09 mangelnde Deutungshoheit seitens SPD. Im Fall des
Wortes „Gerechtigkeit“ wird gezeigt, wie die SPD nonchalant genau davon
ausgeht. Etwa Gerechtigkeit wird, nicht definiert, zweckentfremdet obendrein
diffus und sogar irreführend eingesetzt. Die Metapher von der Schaukel ist
verständlich, aber realpolitisch die typische Nichts-Aussage. Und dazu gibt es nun schon im Godesberger Programm einen Satz, den ich damals zunächst für etwas deplaziert gehalten habe, weil ich dachte, dass eigentlich kein Programmsatz, sondern ein philosophischer Satz, der lautet: „Freiheit und Gerechtigkeit bedingen einander.“ ... Godesberg (Applaus) So weit das Thema Godesberg. Später nur noch beilläufiges Erwähnen. Und da steckt unsere ganze sozialdemokratische Philosophie drin, in diesem kleinen Sätzchen. Nämlich, wir sind der Überzeugung, dass mehr Gerechtigkeit auch mehr Freiheit bedeutet (Applaus) und dass Gerechtigkeit die gleiche Freiheit bedeutet, die gleiche praktizierbare, nutzbare Freiheit für alle. Und umgekehrt, dass eben weniger Gerechtigkeit – und das hat die Arbeiterbewegung eben am eigenen Leib erfahren – , dass weniger Gerechtigkeit eben weniger praktizierbare Freiheit ist. Der Kündigungsschutz mag ja die Dispositionsfreiheit des einen oder anderen Unternehmers, der gerne „Hire and Fire“ machen möchte, einschränken. Aber er erhöht doch die Freiheit des jungen Paares, das sich überlegt, ob es Kinder haben soll oder ob es eine Familie gründen soll (Applaus). Und diejenigen, für die es die Freiheit erweitert, verstärkt, werden immer ein Vielfaches an der Zahl sein gegenüber denen wo ein bisschen Dispositionsfreiheit eingeschränkt wird. Mehr Gerechtigkeit auch
mehr Freiheit? Dass die SPD das gerne hätte, ist nachvollziehbar. Zu fragen
aber: Gilt die Aussage intraindividuell oder interindividuell? Das hängt
davon ab, wie Gerechtigkeit definiert ist, was Eppler aber nicht liefert.
Durch den Ansatz Gerechtigkeit über „gleiche Freiheit“ zu definieren, wird
die Aussage noch verwirrender. Nach welöchen Maßstäber vergleicht Eppler die
Freiheit des Unternhemers mit der des Politikers, Manganers,
Spitzensportlers, Künstlers und etwa der alleinerziehenden Krankenschwester?
Haben besipielsweise der Spitzenfussballer, der Lehrer, der
Verbandsfunktionäre, Professor oder Richter keine Unfreiheit zu akzeptieren? Besonders missraten, das Heranziehen des Kündigungsschutzes. Nicht
die Dsipositionsfreiheit ist das Anliegen
des Unternehmers, sondern die Auftragslage. Und deshalb, wie gesagt: Die sozialdemokratischen Grundwerte sitzen nicht auf der Balkenschaukel. Gerechtigkeit ist die gleiche Chance, mit den in der Verfassung garantierten Grundrechten, Freiheitsrechten wirklich etwas anzufangen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Der Empfänger von
Sozialleistungen führt nach Eppler also ein selbstbestimmtes Leben. So ist
sie die heile Welt sozialistischer Bannerträger … Und das gilt übrigens auch für die Solidarität. Fragen Sie mal einen Psychologen, wie das ist, wenn ein Kind in einer Familie aufwächst, wo die bedingungslose Solidarität der Eltern für die Kinder und der Kinder für die Eltern und der Geschwister für die Geschwister eine Selbstverständlichkeit ist. Diese Kinder sind nachher, wenn sie ins Leben hinausgehen, sehr viel freier als andere (Applaus). Als andere Kinder, die
nicht in Familien aufwachsen? Sind das die die wochentäglich 8 -9 Stunde in
der Kita aufbewahrt werden? Der Absatz ist demagogisch und nichtssagend. Je sicherer Menschen aufgehoben sind in einer Solidargemeinschaft, desto freier können sie sich bewegen und nebenbei desto freier, weil gleichberechtigter, fühlen sie sich auch. Aufgehobene und sich
bewegende Menschen. Kein Applaus. Nicht einmal die Genossinen haben Eppler
verstanden … Liebe Freunde, das Hamburger Programm – übrigens auch das Berliner – hat diesen Gedanken ja fortgeführt. Da heißt es dann über die Grundwerte: „Sie bedingen, ergänzen, stützen und begrenzen einander.“ Und dann heißt es: „Unser Verständnis der Grundwerte bewahrt uns davor, Freiheit auf die Freiheit des Marktes, Gerechtigkeit auf den Rechtsstaat und Solidarität auf Armenfürsorge zu reduzieren.“ Merkt ihr, so wird aus Grundwerten praktische Politik (Applaus). Wer beschränkt Freiheit
so? Und wenn wir für eine gerechte Solidargemeinschaft kämpfen, dann nicht, weil wir weniger Freiheit wollen und uns begnügen wollen mit weniger Freiheit, sondern weil wir wollen, dass alle sich als freie Citoyens und Citoyennes in diesem Lande fühlen können. Nebenbei: Warum habe ich jetzt gerade Französisch gesprochen? Aus einem Grund, den wir aus der Rede von Sigmar Gabriel kennen: Wir Deutschen leiden ja darunter, dass wir für die französischen Worte Citoyen – Staatsbürger, Souverän der Demokratie – und Bourgeois – Besitzbürger – leider nur ein einziges Wort haben, nämlich Bürger. Und mit dieser Armut der deutschen Sprache wird nun seit 200 Jahren Schindluder getrieben (starker Applaus mit freudigen Gesichtern der Parteiführung). Die Sozialisten
reklamieren das Adjektiv bürgerlich. Hierbei ist zu konzedieren, dass FDP und
CDU/CSU keine bürgerliche Koalition sind. Bürgerlich, im Gegensatz zu
proletarisch oder adlig (konservativ) ist nur eine liberale
Alleinregierung/Mehrheit. Und lasst das einen alten Mann hinzufügen: In den 70er-Jahren habe ich geglaubt, es sei zu Ende mit diesem Schindluder. Jetzt fängt's wieder an. Und nebenbei das ist dann so grotesk: Wenn bei uns einer zum Kommiss kommt – Wehrpflicht ableistet –, ist er doch ein Bürger in Uniform, ein Citoyen in Uniform. Völlig richtig! Aber wie ist es, wenn er die Uniform wieder auszieht? Ist er dann nur ein Bürger, wenn er zur CDU oder zur FDP geht? (Applaus). Wir appellieren an den Citoyen und die Citoyenne in Zivil, die – auch ohne dass sie beim Kommiss sind – sich verantwortlich fühlen für diese Gesellschaft und für diesen Staat. Und insofern sind wir die Partei des Citoyen und der Citoyenne (Applaus) und also die bürgerliche ... (Satz nicht zu Ende gesprochen) Liebe Freunde, vor bald 30 Jahren hat Ralf Dahrendorf einmal gesagt: Diese Sozialdemokraten, die werden an ihren eigenen Erfolgen sterben. Die werden daran zugrunde gehen, dass das, was sie wollten und was sie durchsetzen, schließlich selbstverständlich wird und sie selbst dadurch überflüssig. Das war ein kluger Gedanke, ein kluger Gedanke eines Mannes, der nebenbei einen sozialdemokratischen Vater hatte und dem er ein bisserl beweisen musste, warum er das nicht war. Aber gut (Heiterkeit), das ist eine andere Sache. … und nun kommt der
marktradikale Popanz des Sozialisten … Nur: Sogar wenn das einmal gestimmt haben sollte – es stimmt längst nicht mehr. Denn seit Dahrendorf das gesagt hat, ist über diese Erde, die ganze Erde und natürlich auch über Europa und über Deutschland, eine marktradikale Welle hinweggegangen, die, so leid mir das tut, das zu sagen, manches weggeschwemmt hat – nicht nur in Deutschland –, was Sozialdemokraten lieb und wert gewesen ist (Applaus). Für das „Manche“ könnte Eppler
die im folgenden Absatz genannten Privatisierungen der Kommunen meinen.
Eklektisch so eine sozialistische Seele Diese Welle – das merken wir jetzt erst langsam, wo sie sich überschlagen hat – die hat sehr vieles verändert bei uns. Heute ist über die Kommunalpolitik geredet worden. Was ist seither alles privatisiert worden in den Kommunen, was den Kommunalpolitikern heute schon wieder leid tut? Aber nicht nur in den Kommunen (einzelner Applaus): Diese Welle hat die Gesellschaften verändert, bis in die Sprache hinein; etwas, was mich im Augenblick besonders beschäftigt. Ich will's an einem Beispiel sagen. Bei so alten Leuten wie mir kommt das bei so Vergleichen; sie sind nicht gescheiter als andere aber sie können mehr vergleichen. Noch als wir vor 30 Jahren über das Berliner Programm geredet haben, war die Grundfrage: Wie wollen wir eigentlich leben? Wie wollen wir leben? - Schon beim Hamburger Programm, bei den ersten Entwürfen, war die Frage: Wie müssen wir eigentlich leben, damit wir in einer globalisierten Welt uns behaupten können? - Es ist doch ein Unterschied, ob ich Politik mache aus der Frage „Wie wollen wir leben?“ oder „Wie müssen wir leben?“! (Applaus) „Wie wollen/müssen wir
leben“? Das ist eine dieser typischen demagogischen Zauberformeln. Adressat
ist der Einzelne, der selbstverständlich mit der individuell gültigen Antwort
reagiert, deren gemeinsamer Nenner bestenfalls die Beseitigung von
Beschwernissen ist. Ganz ähnlich, die Formel „Man muss von seiner Arbeit
leben Können“, um das Verlangen von Mindestlohn zu rechtfertigen. Beim „Wie müssen wir
leben“, sind dann die sozialistischen Besserwisser gefragt, die der dummen
Bevölkerung erklären können, wie Welt/Gesellschaft zu konstruieren sind. Und wir haben das, ja, wir haben das so genau gar nicht gemerkt. Aber, liebe Freunde, wenn man dann wirklich vergleicht, dann erschrickt man gelegentlich. Wer hätte eigentlich 1959, als wir das Godesberger Programm verabschiedeten, oder auch noch zu Zeiten Willy Brandts oder Helmut Schmidts, wer hätte geglaubt, dass wir einmal noch das Solidarprinzip in der Krankenversicherung würden verteidigen müssen? (Applaus) Den Schuldigen für das
Müssen zu verteidigen nennt Eppler nicht. Schon gar nicht kommt er auf die
Idee, Übertreibung zu erkennen. Solidarprinzip steht für Umwerteilung und
zwar entgrenzte, weil es dazu keinerlei sozialistische Aussage gibt. Eppler nennt auch keine
Partei, die für die Aufgabe des Ausgleichs von krank und gesund sowie reich
und arm eintritt. Oder wer hätte noch, als Helmut Kohl Kanzler wurde, sich vorstellen können, dass wir einmal die progressive Einkommensteuer werden verteidigen müssen? Wisst ihr, wer die erfunden hat? Die hat ein nationalliberaler Bankier ("Bankier" mit Empörung ausgesprochen) namens Johannes von Miquel als preußischer Finanzminister in den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts in Preußen und dann später in Deutschland eingeführt. Das Prinzip, dass wer mehr verdient, nicht nur mehr zahlen sondern auch prozentual mehr beisteuern muss. Und dieses System hat sich dann im 20. Jahrhundert in ganz Europa als selbstverständlich durchgesetzt. Ein Mann wie Ludwig Erhard hat nie den geringsten Zweifel gehabt an der progressiven Einkommensteuer. Unter Konrad Adenauer war der Spitzensatz bei 53 %. Und was bedeutet denn das, was jetzt die Frau Merkel angekündigt hat, nämlich das, was die FDP will, diese Stufenregelung? - Sie hat keinen anderen Sinn, als die progressive Einkommensteuer, die seit 100 Jahren Europa geprägt hat, nun abzuschaffen. Das ist der ganze Sinn der Sache! Und als zweiter Schritt kommt dann die Flat tax, die der Herr Kirchhof heute noch verteidigt, nämlich wo alle die gleiche Steuer zahlen, nämlich 20 oder 25 %. Und auch wenn einer mehr als 10 Millionen im Jahr verdient, er nie mehr als 25 % an Steuern bezahlen muss. Das heißt, das, was die amerikanischen Marktradikalen offen immer propagiert haben „Abschaffung der progressiven Einkommensteuer“, das bekommen wir jetzt durch die Hintertür. Und die meisten haben es noch gar nicht gemerkt (langer Applaus). Ich sag' das auch deshalb, weil für die Sozialhistoriker es völlig klar ist: Das bisher wirksamste Instrument des sozialen Ausgleichs in Europa war die progressive Einkommensteuer. Und deshalb soll sie weg. „Sozialer“ Ausgleich?
Oder geht es um Umverteilung, damit – von objektiv Unvermögenden abgesehen –
die Beschwernisse zur Leistung gemildert werden? Warum wohl sprechen
Sozialisten stets verschämt von „sozial“ statt Einkommensminderung zwecks
Einkommensmehrung unmissverständlich zu thematisieren. Gabriel sprach davon, die
Realität wahrzunehmen. Weite Kreise der SPD haben längst verdrängt, dass
schon Lohnempfänger von 2000 € Brutto über die Last der ihnen abverlangten
Solidarität klagen, die erforderlich ist, weil es nicht genügend Reiche gibt
all die sozialistiischen Verheißungen zu erfüllen. Wenn man 60 Jahre lang versucht hat, Politik zu machen, und heute auf dieses Land sieht, dann kann man nur sagen: Noch nie in diesen 60 Jahren hat dieses Land die Sozialdemokratie dringender gebraucht als heute (Applaus, erneut die Parteiführung mit großer Freude). Nachvollziehbar. Es stimmt zwar, es stimmt zwar, dass noch nie eine Ideologie so unmittelbar, so gründlich, so erbarmungslos widerlegt worden ist wie der Marktradikalismus durch die Finanzkrise. Noch nie. Nebenbei: Da haben doch nicht die Märkte die Staaten gerettet, sondern die Staaten haben die Märkte retten müssen! (Applaus) Es vergeht auf der Zunge
wie Staat Markt rettet. Staat das edle Wesen rettet das Ungeheuer Markt. Kein Wort dazu, dass
sozialistische Politiker, die Überwachung der Finanzmärkte verschlafen haben
und nun Politiker mit Name und Adresse veranlasst haben, dass auf Pump der
Kollaps von staatlichen und privaten Banken vermieden wurde Aber - und das ist nun Erstaunliche - für uns alle Erstaunliche: Diese marktradikalen Thesen haben ihre Widerlegung überlebt. Wie lange, weiß ich nicht, aber vorläufig schon. Wir hören doch immer noch das Märchen von der Selbstfinanzierung von Steuersenkungen. Die ganze Regierungserklärung, der ganze Koalitionsvertrag basiert auf diesem Märchen. Das ist ein marktradikales Märchen. Noch nie ist eine Steuersenkung mit mehr als etwa 25 % je durch Wirtschaftswachstum ausgeglichen worden. Noch nie. Und nebenbei: Hans Eichel hat ja selber den Gegenbeweis erbracht. Das haben wir doch alle miterlebt, miterlitten, dass das so war. Und Bush, der unentwegt zwar einen völlig verrückten Krieg geführt hat, einen der dümmsten, die je geführt worden sind (Applaus), und der hat dabei immer noch die Steuern gesenkt mit der Bemerkung „Das finanziert sich selbst“. Heute stehen die Vereinigten Staaten bei 10 % Neuverschuldung in einem Jahr. Die Maastricht-Kriterien sind bekanntlich 3 %. Aber die Märchen, die Märchen, die marktradikalen Märchen werden alle weitererzählt. Und das ist auch eine Leistung der neuen Koalition! Von „diesen“ (welche?)
entschwindet Eppler in das Steuerrecht. Solches Springen vom Hölzchen aufs
Stöckchen ist aus dem Mund von Sozialisten häufig zu beobachten. Ohne
Fundament bringen sie ihre Gedanken zum Ende einer sauberen Conclusio. Nebenbei wir hören immer noch: „Wenn jeder für sich selber sorgt, ist letztlich für alle gesorgt.“ Wir hören immer noch „Der Markt ist letztlich immer klüger als die Politik“, was dazu führt in manchen Presseorganen, dass je mehr der Markt versagt, desto mehr muss die Politik heruntergemacht werden, dann muss sie noch dümmer sein als der Markt (Applaus). Ein gutes Beispiel für
die Angewohnheit der Personalisierung von Abstrakta, die keine stringente Aussagen erzeugt. In diesem Fall vermeidet
Eppler die Aussage die Marktteilnehmer sind immer klüger als die Politiker,
eine Aussage über sich streiten lässt aber weigstens einen Pack-An bietet.
Sozialisten und ihre diffuse Rhetorik – kein Wundes, dass sie es sich
leistgen können die reale Welt nicht in ihren Aussagen abbilden. Habt ihr gemerkt, wie im Laufe des letzten Jahres die Aufmerksamkeit unserer Gesellschaft abgelenkt worden ist von den Billionen Euro, die die Banker verbrannt haben, weil sie nicht mehr wussten, was sie in ihren Tresoren hatten? - Hin wieder zum Staat, zur Bundesregierung, zum Finanzminister! Wir haben doch einen Untersuchungsausschuss gehabt im Deutschen Bundestag über der Hypo Real Estate. Und da wurde nicht darüber geredet, wer da 100 Milliarden verbrannt hat, sondern ob der sozialdemokratische Finanzminister genau im richtigen Augenblick genau das Richtige getan hat, um diese Bank zu retten. Welch ein, welch ein Unsinn, wenn man sich vorstellt, was da eigentlich zu verhandeln war. Nebenbei Peer Steinbrück ist völlig mit weißer Weste herausgekommen. Aber die Aufmerksamkeit war wieder abgelenkt von dem, was eigentlich zur Debatte stand, zu dem, was nicht zur Debatte stand! (Applaus) Mein Eindruck ist: Der Marktradikalismus hat seine Widerlegung überlebt, aber die Sehnsucht nach einer Alternative wächst in der Bevölkerung. Die Sehnsucht wächst. Es gibt Umfragen, wonach drei Viertel der Deutschen der Meinung sind, es gehe bei uns ungerecht zu, und die Hälfte dieser drei Viertel ist der Meinung, das bleibe auch so, weil niemand das ändern wird. Konzediert, dass die
Finanzkrise geeignet jeden Marktwirtschaftler in Erklärungsnot zu bringen,
erscheint es zumindet gewagt, die Krise ausgerechnet als Widerlegung von
Marktradikalismus zu verstehen. Eppler aber behauptet die
„Widerlegung“ apodiktisch vor 500 sicherlich inteligenten Zeitgenossen, die
in der Person von Sigmar Gabriel nach dem Vortrag Eppler wärmstens danken. Zum mentalen
Zustand der SPD müssen Adjektive sicher nicht geliefert werden. Und nebenbei einer der Gründe, warum wir die Wahl verloren haben, liegt darin, dass die Menschen gar nicht mehr glauben, dass es jemanden gibt, der dieses Land gerechter machen kann. Und genau da werden wir zu arbeiten haben. Wir werden die Alternative zu diesem marktradikalen Denken formulieren, propagieren und durchsetzen müssen. Und nebenbei und da knüpfe ich wieder an Sigmar an: Wenn uns das gelingt, dann können die Zeitungen zehnmal schreiben, das sei ein Linksruck - wir sind dann genau in der Mitte unserer Gesellschaft (längster Applaus). Ich will ja gar nicht bestreiten, dass eine weltweit dominante Ideologie, die 95 % der Ökonomieprofessoren als Wissenschaft verkünden (einzelner Applaus), ja das ist fast wie beim Marxismus-Leninismus; der hat sich auch als Wissenschaft dargestellt (leichter Applaus und Lachen), jedenfalls dass eine solche dominante, weltweit dominante Ideologie keine Partei völlig unberührt lässt, auch die unsere nicht. Ich entsinne mich an das Bodo-Hombach-/Mandelson-Papier, wo Jochen Vogel und ich sofort gesagt haben: „Nein, so nicht!“ (leichter Applaus) und wo Gerhard Schröder sehr schnell begriffen hat: So nicht. Sehr, sehr schnell. Wir haben das ein bisserl geholfen. Aber jedenfalls (lachen). Aber, nein, dass sind so Spuren, die natürlich übrigbleiben. Und es gab noch andere Spuren, über die auf diesem Parteitag diskutiert worden sind. Was uns von den anderen unterscheidet ist: Wir haben das alles hinter uns, und zwar nicht erst hinter uns, seit die Finanzkrise widerlegt hat, was da behauptet wurde, sondern seit dem Hamburger Programm haben wir das definitiv hinter uns (Applaus). Und die anderen nicht. Die andern nicht. Die FDP hat nichts dazugelernt. Nebenbei: Wenn sie was dazulernen würde, wäre sie gar nicht mehr da (Lachen, Pfiffe, Applaus). Pfeifen im Walde … Die CDU ist aufgespalten und deshalb fast bewegungsunfähig zwischen einem marktradikalen und einem christlich-sozialen Flügel. Warum hat die Union so ein ungenaues Programm für die Wahl gehabt? Weil in dem Augenblick, wo man sich auf konkrete Dinge sich hätte einigen sollen, wäre der Krach losgegangen. Das heißt, die haben die Auseinandersetzung über den Marktradikalismus noch vor sich. Und die ganzen vier Jahre werden das beweisen, dass sie diese Auseinandersetzung noch vor sich haben (Applaus). Und lasst mich als Süddeutscher hinzufügen: Die CSU die wechselt alle 14 Tage die Seiten, bis ihr schwindlig wird (Lachen, Applaus). Nein, in dem Maße, wie das Gewürge in dieser Koalition erkennbar wird, wird der Wunsch nach Alternative stärker, und auch die Anforderungen an uns werden stärker, weil nämlich diese Alternative nicht zu haben ist ohne ein grundsätzliches Umdenken in unserer Gesellschaft, eine Wende in den Köpfen, die inzwischen schon zaghaft begonnen hat, aber für die wir auch verantwortlich sind. Das ist unsere Chance, aber auch unsere Aufgabe. Das alles wurde „von
Godesberg“ vor 50 Jahren natürlich perfekt vorausgesehen … Dieser Marktradikalismus war ethisch gesehen einfach ein unverschämter Egotrip. Ein unverschämter Egotrip. Menschen neigen natürlich dazu wir alle neigen dazu, erst einmal unsere eigenen Bedürfnisse zu sehen und selbst zu behaupten, selbst Geld verdienen zu wollen usw. Der Egoismus ist uns eingepflanzt. Und das muss man nicht verteufeln. Nur, man muss es auch nicht anstacheln, man muss es auch nicht feiern und man muss es nicht zum Erziehungsziel machen (langer Applaus), denn das steht im Gegensatz zu 3.000 Jahren europäischer Geschichte. Ob es die alten Griechen waren, ob es die Juden des Alten Testaments waren, ob es das Neue Testament war - überall geht es nicht um die Feier des Ego, sondern es geht um das „Du“, um den anderen, die andere, neutestamentlich den Nächsten, um die Gemeinschaft oder – athenisch auch um den Staat. Ja, was wir da erlebt haben, steht so im absolutem Gegensatz zu dem, was 3.000 Jahre europäische Geschichte uns sagen und was sich etwa konzentriert hat in einem Satz des Paulus an die Galateer, in dem er die ganze christliche Botschaft zusammengefasst hat in fünf Worten: „Einer trage des anderen Last.“ (Applaus) „3000 Jahre“ natürlich
ein starkes Argument … und obendrein „unverschämterweise“ „radikal“ Und aus dieser Tradition stammt die Fraternité der Französischen Revolution, von der wir heute nicht mehr Brüderlichkeit, sondern Geschwisterlichkeit oder Solidarität sagen. Nein, nein, wir wollen nicht den ganz anderen Menschen; da hat uns Godesberg zur Nüchternheit aufgefordert. Aber wir wollen das Ende der Egofeier, das Ende der Feier des Homo oeconomicus. (vereinzelter Applaus) Nein, Fraternité
bedeutete Einigkeit. Das sind gedenkliche Bocksprünge Und wir wollen - jetzt sage ich etwas, wenn das Wort nicht so fürchterlich abgenutzt worden wäre von der Union in den letzten Jahren, ohne jede Bedeutung - wir wollen sogar einmal wieder darauf hinweisen, was eigentlich das christliche Menschenbild war (Applaus). Und das hat dann praktische Folgen, zum Beispiel was den Wettbewerb angeht. Wettbewerb in der Wirtschaft ist unentbehrlich. Wettbewerb im Kindergarten ist entbehrlich (Applaus). Natürlich, das
christliche Menschenbild. Was genau ist die gedankliche Verknüpfung? Will Eppler
ausagen, die „Erziehung“ zum Wettbewerb produziere den gefürchteten
Marktradikalismus? Was genau läuft im Kindergarten falsch? In welchem Alter
soll Wettbewerb gelehrt werden, der in der Wirtschaft doch unentbehrlich ist?
Wird Wettbewerb den überhaupt gelehrt? Und Wettbewerb an der Uni ist nur bedingt hilfreich für diejenigen (vereinzelter Applaus), die dort zu tun haben. Nein, wir wollen zwar eine Wettbewerbswirtschaft, aber keine Wettbewerbsgesellschaft von klein auf, wo die Kinder noch darauf gedrillt werden, den Nebensitzer bzw. die Nebensitzerin als Konkurrenten zu empfinden. Nein, nie in der europäischen Ethik hat es geheißen, einer stelle dem anderen das Bein (Applaus). Das hat es nie gegeben. Es fehlt die
Konkretisierung; Eppler beschränkt sich damit auf die Insinuation Und das gilt dann auch für den Staat. Liebe Freunde, der Staat ist nicht ein gefräßiges Ungeheuer, vor dem der brave Bürger seinen Besitz - sei es legal, sei es illegal - in Sicherheit bringen muss. Er ist im Übrigen auch kein Gott, vor dem wir zu knien haben. Ist er auch nicht (vereinzelter Applaus). Aber er ist ein notwendiges und hilfreiches Instrument, das wir uns selber mit unserer Verfassung geschaffen haben, damit geleistet werden kann, was wir alleine, privat gar nicht leisten können - und zwar das es geschaffen wird nicht nur für uns allein, sondern für alle zusammen. Wenn die Staatsquote 50% beträgt
ist das kein gefräßiges Verhalten sozialistischer und konservativer Politiker
… Eppler liefert einen gedanklich oberfächlichen Rundumschlag … „Godesberg“
war halt vor 50 Jahren. Der Gipfel
konstruktivistischen Denkens ist „Staat, das Instrument“, obendrein „hilfreich“.
Und dann die Überhöhung: Haben
„wir“ (Politiker 2009 der SPD?) geschaffen … oder per verfassungswidrigen Gesetzen
und Verhalten (22.03.02) eher ramponiert? Und ich glaube, dieses Staatsverständnis hat der Marktradikalismus zerstört. Wir müssen es erst langsam wiederherstellen. Der Staat ist dafür zuständig, dass wir nicht den Knöchel brechen, wenn wir aus dem Haus gehen, weil so tiefe Löcher im Gehweg sind, dass wir gleich zum Arzt gehen dürfen. Der ist auch zuständig für Sicherheit vor Verbrechen. Da ist nicht, sind nicht die privaten Sicherheitsdienste zuständig (Applaus); sondern da ist das Gewaltmonopol des Staates zuständig. Es gähnte früh morgens
der Marktradikalismus, sprang mit hohem Satz aus dem Bett, ging unter die
Dusche, zuletzt kalt, und zog zu frischer Tat von dannen … Tut Eppler nur so oder
weiß er es wirklich nicht? Wir wollen nicht, wie in den USA, Städte, in denen auf einen Polizisten fünf Angestellte von privaten Sicherheitsdiensten kommen und wo dann die Sicherheit vor Verbrechen zu einer Ware wird, die ganz wenige sich leisten können, aber die meisten nicht (Applaus). Wer will das? Ich habe vor 40 Jahren, nein, 38 Jahren auf einem Parteitag - das war der Steuerparteitag - hab ich gesagt: Für ein Kind ist es wichtiger, dass es in der Nähe ein Schwimmbad hat, als dass es eine singende oder sprechende Puppe geschenkt bekommt (leichter Applaus). Und heute würde ich hinzufügen: Für dieses Kind ist es nicht so wichtig, ob die Eltern 100 Euro mehr oder weniger zahlen, sondern dass es eine funktionierende Ganztagsschule mit einem Mittagessen hat (Applaus). „Dieses“ jede Kind?
Eppler zieht den Joker aus dem Zoo sozialistischer Sozialgestalten. Und wenn
nur ein „Kind“ die o.a. Puppe präsferiert? Es befinden die hoheitlichen Damen
und Herren, erhöhen glatt die Steuern weiter und es geschieht, das, was
Eppler sodann erläutert : Steuern zahlen wir für das, was wir privat gar nicht bezahlen können. Und insofern sind die Steuern nicht mehr und nicht weniger eine Last als die Rechnung, die wir an der Tankstelle bekommen. Das ist auch ein Last, da zahlen wir privat und das andere zahlen wir eben nicht privat. Wir müssen da wirklich umdenken. Wir müssen das aus den Köpfen bringen, was die Marktradikalen in 20 Jahren uns eingebläut haben. Was hilft es, wenn die Steuern gesenkt werden und die Kindern den Gips auf den Kopf bekommen in der Schule? Schlimm genug, wenn der
Gips aus gewissen Köpfen zwar nicht auf Schülerkopf aber auf die Schulbank
rieselt … Niedlich der Steuern-Rechnung-Vergleich.
So ein harmloses Instrument der Entmündigung kann doch nicht gefräßig sein. Leider
erläuter Epppler nicht mit welchen Instrumenten die Marktradikalen der armen
Bevölkerung gebäut haben. Nebenbei noch etwas: Wir müssen auch den Begriff der Verantwortung neu definieren. Wenn die Union eine Tagung macht über Freiheit und Verantwortung, dann ist immer gemeint: Weil ihr frei seid, müsst ihr jetzt für euch selber sorgen. Was ja nicht völlig falsch ist - natürlich. Nur, Verantwortung bedeutet auch, Antwort geben - nämlich dem Andern, dem Nächsten eine Antwort geben, inwieweit wir für ihn auch da sind. Verantwortung ist zuerst einmal immer Verantwortung für andere, für das Ganze und für uns selbst auch insofern, als wir nicht ohne Grund uns selbst anderen zumuten sollten und dürfen. Das ist schon richtig. Aber auch da wird es Zeit etwas hinzuzulernen. Das ist das was wahrscheinlich Sigmar gemeint hat, mit dem anderen Verständnis von Zusammenleben. Vertändig gewürdigt, will
Eppler eine pauschale Verantwortung die „wir“ (?) neu definieren müssen. Antgwort
muss unbeingt gegeben werden … auch dann, wenn sie gar nicht gefragt ist? Schließlich eine letzte Bemerkung. Wer den Marktradikalismus bekämpfen will, eine Alternative bieten will, braucht die Rehabilitation der Politik. (Applaus) Noch nie, seit ich Politik mache, waren die Politiker so miserabel angesehen wie heute; und auch deshalb, weil sie ja für manche Medien immer dümmer sein müssen als der Markt. Auch deshalb ist diese Abwertung geschehen. Dumme Politiker? Ist
eventuell die Koalition der Inkompetenz sogar ganz angenehmen? Und wir müssen klarmachen, wofür diese Politik verantwortlich ist, etwa dafür, dass die Märkte überhaupt funktionieren - das tun sie nicht von selbst -, dass der Kapitalismus sich nicht selbst umbringt - sogar dafür sind die Politiker zuständig -, dass die Gesellschaft zusammenbleibt und nicht sich spaltet und schließlich durch diese Spaltung die Gewalt sich privatisiert wie in Brasilien oder in Südafrika, dass nicht das Recht des Stärkeren gilt, sondern das geschriebene Recht, dass soziale Gerechtigkeit ein Ziel bleibt oder dass der Klimawandel beherrschbar bleibt. Dazu sollen den
Zeitgenossen des Erhard Eppler keine Tränen kommen? Und Sozialisten als
Oberspalter der Weltgeschichte: „haltet den Dieb“? Und liebe Freunde, wenn wir Politik wieder rehabilitieren, dann ist es eben auch nicht mehr gleichgültig, wie heute manche meinen, mit welchen Zielen, mit welchen Überzeugungen und mit welchen Mitteln man Politik macht. Es ist nicht gleichgültig, ob man in eine Partei geht, und es ist auch nicht gleichgültig, in welche man geht. Wenn es wirklich darum geht, wie wir leben wollen, und nicht, wie wir zu leben haben, dann wird auch die Politik wieder junge Menschen anziehen. Sozialdemokratie hat auf Politik gesetzt seit Ferdinand Lassalle. Es wurde über Politik Gesellschaft verändert. So ist sie entstanden. Und deshalb gilt bis heute die SPD als die politischste Partei, was für manche Leute heute ein Mangel ist. Wenn Politik nichts gilt, ist die politischste Partei sicherlich nicht die sympathischste. Und deshalb leidet wahrscheinlich unsere Partei am meisten unter der Verachtung der Politik. Aber noch nie nach meiner Überzeugung hat die Menschheit und auch unser Land Politik so dringend gebraucht (Applaus). Die „Verachtung der
Politik“ haben doch die sozialistischen und konservativen Politiker selber
durch Wahlbetrug und maßlose Versprechungen aller Art selber herbeigeführt. Liebe Freunde, das gehört alles gehört im 21. Jahrhundert zu der dauernden Aufgabe, die Grundwerte zu realisieren, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität so zu realisieren, dass mehr Gerechtigkeit auch mehr Solidarität und mehr Freiheit bedeutet. Wir haben noch einiges vor uns. Besser: Einiges steht „uns“
allen noch bevor. Danke. (Applaus, 3 Minuten) Es sei dem 83jährigen
Respekt gezollt, fast eine Stunde stehend gesprochen zu haben. Inhaltlich haben wir einen
Trümmerhaufen. Offen bleibt, ob Eppler entgrenzt naiv spricht, also handelt
oder ob wir einmal mehr den rücksichtslos einpeitschenden Demagogen gesehen
haben, der mit sprachpsychologischen Tricks seinen gewogenen Zuhörern die von
ihnen erwartete „Botschaft“ wie den Stachel im Fleisch weiter eingetrieben hat.
Die Rede ist ein Rückschritt
für Deutschland. Es ist bewusst zu machen,
dass die SPD-Führung doch wohl rational kalkulierend Eppler auf das Podium
holte. Und
die neue Führung hat es nicht anders gewollt: Mit prononciert warmer Geste dankte
Sigmar Gabriel dem Redner. Den Gipfel
produzierte die deutsche Staatsindustrie mit dem OFF-Kommentar von Phönix: „Klarheit der Gedanken, Trennscharfe von
Begriffen hat Eppler geliefert". Reaktion dazu: Ha-ha. |