D a s   L i b e r a l e   T a g e b u c h

Sammlung Originaldokumente aus „Das Liberale Tagebuch“, http://www.dr-trier.de

 

 

Liberale schreiben Zeitgeschichte

 

Guido Westerwelle:
Nicht in Rhetorik des Kalten Krieges verfallen

 

21. August 2008 

 

Die Beziehungen zwischen Russland und der NATO kühlen sich weiter ab: Laut Medienberichten will Russland offenbar die militärische Zusammenarbeit mit der NATO und den alliierten Staaten einfrieren. Zuvor hatten die NATO-Außenminister bereits beschlossen, die Kooperation mit Moskau teilweise einzufrieren, bis sich die russischen Truppen gemäß dem Waffenstillstandsabkommen aus Georgien zurückziehen. FDP-Partei- und Fraktionshef Guido Westerwelle warnt davor, angesichts der Spannungen in die Rhetorik des Kalten Krieges abzurutschen. Den Zeitungen "Stuttgarter Nachrichten" und "Kölnische Rundschau" sagte er: "Die militärische Intervention Georgiens in Südossetien ist ebenso zu kritisieren wie die Überreaktion Russlands darauf. Wir sollten uns nicht in die Rhetorik des Kalten Krieges begeben - deshalb helfen auch starke Worte wie die der US-Regierung nicht weiter."

 

Der NATO-Rat hat am Dienstag Georgien in der Kaukasuskrise den Rücken gestärkt und die russische Regierung zum sofortigen Truppenabzug aufgefordert . Russland müsse erkennen, dass es nicht gewaltsam Grenzen verändern könne. Zwar wolle die westliche Militärallianz den Nato-Russland-Rat nicht abschaffen, erklärte NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer nach dem Krisentreffen in Brüssel. "Aber solange russische Truppen weite Teile Georgiens praktisch besetzt halten, sehe ich nicht, dass der Nato-Russland-Rat zusammentritt." Die NATO wolle aber "nicht alle Kontakte abbrechen", sagte de Hoop Scheffer.

 

Die russische Militärführung kritisierte die NATO nach dem Beschluss scharf. "Die Einrichtung einer ständigen NATO-Georgien-Kommission wird Tiflis zu einem weiteren Blitzkrieg in den Konfliktgebieten ermutigen", sagte Vize-Generalstabschef Anatoli Nogowizyn in Moskau. Unterdessen haben die USA und Polen einen Vertrag über die US-Raketenabwehr unterzeichnet. Die Regierung in Moskau hatte die Stationierung amerikanischer Abwehrraketen in Polen als Bedrohung für die eigene Sicherheit strikt abgelehnt und mit militärischen Gegenmaßnahmen gedroht.

 

FDP-Chef Guido Westerwelle warnt davor, angesichts der Spannungen zwischen der NATO und Russland in die Rhetorik des Kalten Krieges abzurutschen. Mit Blick auf die Meldungen, wonach Moskau seine militärische Zusammenarbeit mit dem Bündnis gestoppt habe, erklärte Westerwelle: "Die NATO hat mit Augenmaß entschieden und Russland ein klares Signal gegeben, dass sein unverhältnismäßiges Agieren gegen Georgien nicht ohne Konsequenzen bleibt. Zugleich bleibt das Gesprächsangebot auf dem Tisch, den NATO-Russland-Rat wieder einzusetzen, sobald Moskau seine Truppen aus Georgien abzieht. Es ist richtig, dass die NATO sich nicht einseitig positioniert."

 

Der FDP-Vorsitzende äußerte Verständnis dafür, dass die Stationierung eines US-Raketenabwehrschilds vor Russlands Grenzen nicht nur in Moskau die Sorge vor einer neuen Aufrüstungsspirale schürt. Der deutschen Regierung wirft Westerwelle vor, die US-Raketenstationierung in Polen und Tschechien als eine Angelegenheit zwischen Washington, Warschau und Prag zu betrachten und das Projekt "politisch mehr oder weniger durchwinkt". Rüstungs- und Abrüstungsfragen müssten statt dessen Kernanliegen ganz Europas sein.

 

Schon zuvor hatte Westerwelle gefordert, die Aufrüstungsspirale zu durchbrechen. Im Vorfeld des Besuchs von US-Präsident George W. Bush im Juni sagte der FDP-Partei- und Fraktionschef: "Wenn unmittelbar vor unserer Haustür eine neue Aufrüstungsspirale in Gang gesetzt wird, dann liegt es im deutschen Interesse, sich klar dagegen einzubringen." Vor allem sei aber die Raketenstationierung keine Privatangelegenheit von drei Ländern oder der NATO, sondern ein Thema der ganzen Europäischen Union.

 

Bushs Pläne, Raketen in Polen und Tschechien zu stationieren, bergen die große Gefahr der Spaltung Europas und die ebenso große Gefahr einer neuen Aufrüstungsspirale, wie wir sie zuletzt Mitte der 80er Jahre erlebt haben, warnte Westerwelle mit Blick auf den US-Raketenschirm.

 

Eine solche Entwicklung liege nicht im deutschen Interesse, erklärte Westerwelle: "Bei den liberalen Außenministern Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel war Friedenspolitik mit eigenen Abrüstungsinitiativen stets ein Kernstück deutscher Außenpolitik." Heute hingegen falle Deutschland als Kraft für Abrüstung "leider faktisch aus". Merkel habe es daher verpasst, sich bei Abrüstungsinitiativen an die Spitze zu stellen, stattdessen habe sie sich weggeduckt.