WESTERWELLE-Interview für den „Stern“
Interviewer,
Norbert Höfler und Axel Vornbäumen, 29.12.2009
Frage: Respekt, Herr Westerwelle. Sie
sind Gewinner des Jahres: Rekordergebnis bei der Bundestagswahl.
Außenminister, Vizekanzler. Und Sie haben keine Affäre am Hals.
Westerwelle: Herzlichen Dank. Aber
ich wundere mich etwas, dass Sie das so überrascht.
Frage: Immerhin – sie haben das
Ansehen Deutschlands in den ersten beiden Amtsmonaten nicht nachhaltig
beschädigt. Das hätte man ja fast vermuten können, angesichts der Debatte
darüber, ob ein Schwuler das Außenamt führen darf. Hat Sie die Diskussion
verletzt?
Westerwelle: Nein. Als ich das Amt
angestrebt habe, war ich mit mir im Reinen. Was das Ausland angeht, habe ich
vor fast genau einem Jahr in einem für mich wichtigen Interview mit dem stern
gesagt, dass wir unsere Maßstäbe für innere Liberalität nicht von anderen
beeinträchtigen lassen dürfen.
Frage: Sie haben sich nicht über die
Häme gewundert, mit der Ihre ersten Schritte im Amt begleitet wurden?
Westerwelle: Teilweise schon. Ich
will nur nicht glauben, dass das in Deutschland etwas damit zu tun hat, dass
ich mit einem Mann zusammen lebe. Einige schienen in den ersten Tagen
überrascht, dass ich mit Messer und Gabel essen kann. Ich freue mich, dass
ich manche Kritiker überzeugen konnte. Und ich freue mich über die neue
Verantwortung. Deutschland ist in der Welt sehr geschätzt.
Frage: Hat Sie die Kritik getroffen?
Westerwelle: Ich habe mich vor allem
gefragt: Was sind das für Leute, die so an die Dinge rangehen? Ich sei nicht
cool gewesen, als ich das erste Mal über den roten Teppich lief und im Palast
des französischen Staatspräsidenten mit Ehrengarde empfangen wurde. Ich bitte
Sie! Wer ist in einem solchen Moment schon cool? Mir ist durch den Kopf
gegangen: Hoffentlich ist da jetzt keine Falte im Teppich, über die Du gleich
stolperst.
Frage: Solche Gedanken hat man?
Westerwelle: Ich bin ja nicht in
einem Schloss groß geworden, sondern in einem Altstadtreihenhaus in Bonn. Ich
bin es von Zuhause aus nicht gewohnt, mich in Palästen zu bewegen. Mein Vater
war der erste in der Familie, der studieren durfte. Ich habe nicht die
Absicht, meine innere Bewegung, Ehrfurcht und Freude in so besonderen
Momenten zu verschweigen. Im Übrigen haben mir alle bestätigt, die ich in den
ersten Wochen auf internationalem Parkett getroffen habe: Ihnen ging's genauso.
Frage: Wann war der Moment, als Ihnen
klar wurde: Jetzt bin ich Außenminister!
Westerwelle: Bei der Ernennung. Als
ich vom Bundespräsidenten die Ernennungsurkunde entgegen genommen habe, war
ich innerlich ruhig, aber auch mit großem inneren
Respekt erfüllt vor dem, was jetzt auf mich zukommt. Manche meinen, man müsse
in solch einem Moment innerlich jubeln...
Frage: ... haben Sie nicht?
Westerwelle: Nein, ich hatte das
zuvor auch gedacht. Aber da war kein eitles Jetzt-bin-ich-da, keine Genugtuung
nach manchen Nackenschlägen, die ich ja auch jahrelang einstecken musste.
Frage: Sie wirkten in den ersten
Wochen im Amt angespannt, gelegentlich sogar gehemmt.
Westerwelle: Wundert Sie das
wirklich? Ich wusste bei meinem Antrittsbesuch in Polen, da muss jedes Wort
sitzen. Sonst hat das Folgen. Das gilt bei all der tiefen Freundschaft auch
für Frankreich. Unsere Geschichte legt uns schwere Lasten auf die Schultern.
Beim Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem steht man für Deutschland,
wenn man die Gedenkflamme entzündet und den Kranz niederlegt.
Frage: Spürt man rasch, ob man einen
Gesprächsfaden mit seinem Gegenüber findet?
Westerwelle: Ja, sehr schnell. Bei
Hillary Clinton in Washington ging es beim offiziellen Gespräch freundlich,
aber formell zu. Dann standen wir vor der Pressekonferenz noch eine Weile
alleine da, niemand war mehr dabei. Kein Sprecher, kein Sicherheitsbeamter.
Wir unterhielten uns einige Zeit und stellten fest: Die Chemie stimmt. Es war
wie im normalen Leben. Das ist in der Welt der Diplomatie nicht anders als zu
Hause in Bonn.
Frage: Welche Themen brechen das Eis?
Westerwelle: Ich habe Hillary Clinton
beispielsweise erzählt, dass ich ihr Buch „Living History“ gelesen habe.
Frage: Da war sie geschmeichelt?
Westerwelle: Das nicht, aber
interessiert. Vielleicht gibt es da auch noch eine stille Gemeinsamkeit
zwischen Menschen, die sich immer wieder wehren mussten, gegen Rückschläge,
gegen viel Häme und Kritik.
Frage: Wenn es in Ihrem Job so sehr
auf Gesten ankommt – wie verstimmt ist man denn nun in Moskau, weil Sie mit
Russlands Außenminister Sergej Lawrow keinen Wodka getrunken haben?
Westerwelle: Überhaupt nicht. Das
Verhältnis ist hervorragend.
Frage: Die deutsch-russischen
Beziehungen leiden nicht an Ihrer mangelnden Trinkfestigkeit?
Westerwelle: Wenn die Qualität des
deutschen Außenministers davon abhängt, wie trinkfest er bei Wodka oder
Whisky ist – dann wird meine Amtszeit eine einzige Katastrophe. Ich liebe
guten Wein, gerne auch ein Bier. Nach einigen Schnäpsen bin ich aber erstmal
außer Kraft gesetzt. Ich kann nicht mittags Wodka schütten – und anschließend
bei Präsident Medwedjew einen klaren Kopf haben.
Frage: In Israel haben Sie mit dem
Erzkonservativen Avigdor Lieberman eine „Monte Christo“ geraucht. Ein ungewöhnliches
Zeichen von Nähe.
Westerwelle: Man muss schon sehr
genau unterscheiden zwischen dem scharfkantigen öffentlichen Avigdor
Lieberman und dem höflichen Umgang, den er jedenfalls mit mir pflegt. Wenn
man unter vier Augen ist, dann kann man sich gelassen, aber mit freundlicher
Entschlossenheit, auch kritische Dinge sagen.
Frage: Es war eine politische
Zigarre.
Westerwelle: Es war beides.
Wahrscheinlich werde ich irgendwann auch mal abends mit Sergej Lawrow etwas
mehr Wein oder von mir aus auch Wodka oder Whisky trinken, jedenfalls dann,
wenn ich nachher keine Termine mehr beim Staatspräsidenten habe.
Frage: Sie sind nach Israel gereist
und hatten die Vorgeschichte mit Jürgen Möllemann im Gepäck, dessen
antisemitisches Flugblatt Sie seinerzeit in Bedrängnis gebracht hatte. War
der Besuch jetzt für Sie eine besondere Herausforderung als Außenminister?
Westerwelle: Meine Schwierigkeiten im
Jahr 2002 als neuer Parteivorsitzender spielten vielleicht in der
Berichterstattung in Deutschland eine Rolle. In den Gesprächen in Israel ist
das nicht mal von hinten um die Ecke ein Thema gewesen.
Frage: Es stand nicht auf der
obligatorischen Vorbereitungskarte, die Lieberman für das Gespräch mit Ihnen
hatte?
Westerwelle: Das weiß ich nicht. Ich
kann kein Hebräisch lesen. Alles, was in Deutschland so intensiv diskutiert
wurde, hat mich im Ausland jedenfalls nicht beschwert. Weder die
Schwierigkeiten von damals noch die Tatsache, dass ich mit einem Mann
zusammenlebe, ist wirklich ein Thema gewesen. Und das Dritte, was Deutschland
bis in die Satiresendungen hinein fröhlich diskutiert hat, auch nicht:
Nämlich die Frage, ob ich in der Lage wäre, Englisch zu sprechen.
Frage: Sie feilen noch an Ihrem
Englisch?
Westerwelle: Für ein gutes Gespräch
ist mein Englisch recht ordentlich. Auf ernsthafte Vertragsverhandlungen
würde ich mich in einer Fremdsprache sowieso nicht einlassen. Dafür gibt’s im
Auswärtigen Amt exzellente Dolmetscher, die die Feinheiten viel besser
verstehen. Außerdem will ich mich nicht dafür entschuldigen müssen, dass ich
in Deutschland deutsch rede.
Frage: Wer packt Ihren Koffer?
Westerwelle: Ich packe meine
Reisetasche selbst. Die reicht meist aus. Und dazu einen Hänger für die
Anzüge.
Frage: Gibt es Westerwelles
Reisetipps?
Westerwelle: Immer Ohrstöpsel
mitnehmen. Mich können Sie damit in eine Ecke in einer Wartehalle stellen und
sagen: Jetzt hast Du eine Viertelstunde Zeit zum Schlafen. Dann schlafe ich.
Frage: Wie wichtig ist für Sie der
Rat Ihres Förderers Hans-Dietrich Genscher?
Westerwelle: Ganz wichtig. Wir
telefonieren mehrfach in der Woche. Klaus Kinkel und Walter Scheel helfen mit
gutem Rat. Auch mit meinem Amtsvorgänger Frank-Walter Steinmeier hatte ich
ein längeres Gespräch und habe ihn um Rat gefragt.
Frage: Und Joschka Fischer?
Westerwelle: Ich habe mit Josef
Fischer kürzlich zu Abend gegessen. Das war sehr interessant. Ratschläge sind
immer gut, wenn sie Rat sind und keine Schläge.
Frage: Haben Sie schon die Grenzen
Ihres Amtes gespürt. Zum Beispiel bei Ihrer Idee, Deutschland in vier Jahren
atomwaffenfrei zu machen.
Westerwelle: Ich bin der Auffassung,
dass das Ziel von Abrüstung und Rüstungskontrolle richtig ist. Deshalb werde
ich dafür arbeiten, dass die letzten in Deutschland stationierten Atomwaffen
abgezogen werden. Sie sind schon lange kein Beitrag zu unserer Sicherheit
mehr. Abrüstung ist für mich ein Schlüsselthema der internationalen Politik.
Entweder wir bekommen jetzt Jahre der Aufrüstung oder der Abrüstung.
Frage: Sie vertreten jetzt ein Land,
das sich in Afghanistan schuldig ge-macht hat. In Kundus wurden Zivilisten
und Kinder auf Befehl eines Deutschen bombardiert. Hätte man das vermeiden
müssen?
Westerwelle: Wenn man diese Bilder
sieht, kann kein mitfühlender Mensch darüber hinweg gehen. Trotzdem bin ich
davon überzeugt, dass der Afghanistan-Einsatz notwendig ist, für unsere
eigene Sicherheit und für die Menschen dort. Aber wir sind nicht auf ewig in
Afghanistan. Es ist gut, dass auch Präsident Karsai von fünf Jahren
gesprochen hat, in denen wir soweit kommen müssen, dass eine
Abzugsperspektive sichtbar wird. Im Vordergrund muss der zivile Aufbau stehen
und keine verkürzte Debatte über Truppenstärken. Wenn die
Afghanistan-Konferenz in London eine reine Truppenstellerkonferenz wird,
fahre ich nicht hin. Was wir brauchen, ist ein breiter politischer Ansatz und
eine Gesamtstrategie.
Frage: Viele haben erst nach den
Bomben von Kundus begriffen, dass Deutschland dort Krieg führt.
Westerwelle: Das Wort Krieg verwende
ich nicht...
Frage: ...„kriegsähnliche Zustände“...
Westerwelle: Das sind wesentliche
Unterschiede. Nach dem Völkerrecht ist Krieg die militärische
Auseinandersetzung zwischen Staaten. Wir sind in Afghanistan, weil uns dort
die übergroße Mehrheit der Bevölkerung und die demokratisch legitimierte Regierung
um Hilfe gebeten haben...
Frage: ...eine durch Wahlfälschung
legitimierte Regierung!
Westerwelle: ... ausdrücklich: eine
demokratisch legitimierte Regierung. Ich kenne die Missstände beim
Wahlverfahren so wie Sie. Trotzdem hat die internationale Völkergemeinschaft
diese Regierung zurecht anerkannt. Wir sind mit mehr
als 40 Verbündeten dort. Dennoch ist es in meinen Augen nur gesund, dass die
deutsche Bevölkerung gegenüber Auslandseinsätzen eine gewisse Zurückhaltung
hat. Wäre es andersherum, würde ich mir Sorgen machen.
Frage: Die Deutschen erleben gerade,
dass im Krieg die Wahrheit als Erste auf der Strecke bleibt. Das Bombardement
von Kundus muss nun in einem Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden. Hat
Verteidigungsminister zu Guttenberg einen Fehler gemacht?
Westerwelle: Auf diese Debatte lasse
ich mich nicht ein. Ich habe in meinem Amt die klare Anweisung gegeben, dass
alles zusammengetragen wird, was wir zu diesem Vorfall haben. Sie wissen, der
Vorfall war am 4. September, ich bin am 28. Oktober ins Amt gekommen. Nicht
nur die Oppositionsparteien, jeder Abgeordneter und vor allem auch die
Bundesregierung haben ein massives Interesse an der Aufklärung. Von mir wird
es völlige Transparenz geben.
Frage: Hat sich Ihr Verhältnis zu
Angela Merkel verändert?
Westerwelle: Wir sehen uns häufiger.
Wir telefonieren noch mehr miteinander. Und simsen oft...
Frage: Kein Wunder bei dem
Holperstart dieser Regierung.
Westerwelle: Das sehe ich nicht. Wir
haben gerade das Wachstumsbeschleunigungsgesetz durchgebracht, mit mehr
Kindergeld...
Frage: ...und Rekordschulden.
Westerwelle: ... mit einer Entlastung
für Familien und einer Stärkung des Mittelstandes. Das schafft Wachstum – die
Voraussetzung für gesunde Staatsfinanzen. Wir werden den Konsolidierungskurs
fortsetzen.
Frage: Im Klartext heißt das: Jetzt
kommen die bitteren Jahre. Wen wird es denn besonders hart treffen?
Westerwelle: Wir wollen die Bürger,
insbesondere die Mittelschicht, entlasten, nicht belasten. Das haben wir
Liberale vor der Wahl versprochen, so steht's im Koalitionsvertrag. Jetzt
haben wir damit begonnen und dabei bleibt es. Denn das setzt die Dynamik und
die Wachstumskräfte frei, die wir brauchen, um den Haushalt zu sanieren und
unser Land zu stärken.
Frage: Letzte Frage: Ergänzen
Sie, gemünzt auf die Koalition, doch bitte noch mal Ihren Klassiker: „Auf
jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt’s einen, der die Sache regelt. Und
das ....
Westerwelle: (langes Schweigen) Wie
heißt es so schön: Reim' Dich, oder ich fress' Dich ...
Im Original endet der Satz mit der Feststellung: Und das bin ich.
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