D a s   L i b e r a l e   T a g e b u c h

Sammlung Originaldokumente aus „Das Liberale Tagebuch“, http://www.dr-trier.de

 

 

 

 

Muss sich die Finanzpolitik der FDP neu erfinden?

 

Volker Wissing


10. Dezember 2009 ·


In den vergangenen Wochen gab es immer wieder Versuche, Steuersenkungen zu einem Synonym einer unverantwortlichen Finanz- und Haushaltspolitik zu machen. Hat die FDP etwa in der Opposition nicht ihre Hausaufgaben gemacht und ist nun von der politischen Realität eingeholt worden?

 

Das Gegenteil ist richtig. Gerade in der Finanzpolitik ist die FDP im Deutschen Bundestag eine nach wie vor unverzichtbare Stimme, als Interessensvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gegenüber der großen Koalition der Umverteilungspolitiker.

 

Die Umverteilungsdebatte hat sich zunehmend von der Erwirtschaftungsfrage gelöst, und es ist eine der politischen Hauptaufgaben der FDP dafür zu sorgen, dass beim großen Umverteilen nicht vergessen wird, dass alles auch erwirtschaftet werden muss. Während Umverteilen als chic, als Ausdruck des sozialen Engagements und der Mitmenschlichkeit gilt, wird die Frage nach dem Erwirtschaften regelmäßig als Spaßbremse empfunden. Bei SPD und LINKEN führt dieses reflexartig zu der These, dass die Reichen das finanzieren müssen. Das mag für viele gut klingen, aber es stimmt doch skeptisch, dass die SPD es in den elf Jahren, in denen sie den Finanzminister stellte, nicht geschafft hat eine Vermögenssteuer einzuführen. Aus gutem Grund: diese kostet viel, bringt wenig und bewirkt vor allem eine massive Kapitalflucht. Aber was die SPD in der Regierung wusste, davon will sie in der Opposition nichts mehr wissen.

 

Im Zweifelsfall ist die Umverteilungsphantasie der Sozialpolitik jedenfalls bedeutend größer als das was steuer- bzw. finanzpolitisch an Belastungen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zumutbar ist. Umverteilung ist nicht per se sozial, im Gegenteil, sie kann sogar ausgesprochen unsozial sein, wenn sie die kleinen und niedrigen Einkommen zu stark belastet. Die Forderung der FDP nach einem einfachen, niedrigen und gerechten Steuersystem ist daher ebenso ein sozial- wie finanzpolitisches Projekt und die FDP ist sehr gut beraten, daran festzuhalten.

 

Die Aufgabe der nächsten Jahre ist es, Sozial- und Finanzpolitik wieder zusammenzuführen. Die FDP gestaltet Finanz- und Wirtschaftspolitik aus dem Wissen heraus, dass der Staat das, was er einem Menschen gewährt, einem anderen vorher entnehmen muss – und dabei trifft es längst nicht nur Reiche. Im Gegenteil: es ist die gesellschaftliche Mitte in Deutschland, die den Großteil der staatlichen Leistungen erwirtschaften muss. Während Kapitalvermögen extrem mobil ist, haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kaum Ausweichmöglichkeiten. Ihnen wird das Geld bereits abgenommen, bevor sie es in den Händen haben. In den letzten Jahren sind immer mehr Deutsche zu Spitzenverdienern geworden – leider aber nur nach dem Steuerrecht. 1990 wurde der Spitzensteuersatz ab einem Einkommen in Höhe von 61.377 Euro pro Jahr fällig, 2009 liegt diese Grenze bei 52.552 Euro pro Jahr. Es verwundert daher auch nicht, dass die Anzahl der „Spitzenverdiener“ bzw. Spitzensteuersatzzahlerinnen und –zahler sich mittlerweile mehr als verdreifacht haben dürfte. Nicht weil die Menschen tatsächlich höhere Einkommen beziehen, sondern weil der Spitzensteuersatz mehr und mehr zu einem Regelsteuersatz wird. Wäre die Einkommensgrenze, ab welcher der Spitzensteuersatz zu zahlen ist, an die Inflation angepasst worden, so müsste er aktuell auf einem Niveau von über 100.000 Euro liegen. Das verdeutlicht den dramatischen Druck, dem die Löhne der Beschäftigten unterliegen. Das Steuersystem führt sie systematisch in immer höhere Belastungsstufen, die Sozialabgaben steigen kontinuierlich und auch die direkten Steuern werden immer höher. Ein Staat, der immer höhere Steuern und Abgaben für rückläufigere Leistungen einfordert, untergräbt seine Akzeptanz. Die immer höhere Steuer- und Abgabenlast wird von vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als eine Form der schleichenden Enteignung empfunden.

 

Sozialpolitik findet nicht nur auf der Verteilungsseite, sie findet auch auf der Einnahmeseite statt. Egal ob es sich um das Elterngeld von Frau von der Leyen oder um die Rentengarantie der großen Koalition handelt: auf der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist es nichts anderes als eine Steuer- bzw. Abgabenerhöhung. Aber während sich die Politik gerne der Einführung des Elterngeldes rühmt, über die entsprechende Mehrbelastung der Bürgerinnen und Bürger redet sie weniger gern. Ist es tatsächlich sozial gerecht, dass die Verkäuferin oder der Busfahrer mit ihren Steuergeldern dem pausierenden, gutverdienenden Manager die Elternzeit finanzieren müssen?

 

Die FDP ist bei der letzten Bundestagswahl nicht zuletzt deshalb mit einem guten Wahlergebnis belohnt worden, weil viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich von dem Sozialstaat weniger geschützt als ausgenutzt fühlen. Die Steuersenkungsforderung der FDP-Bundestagsfraktion bleibt aktuell. Es gehört auch zur sozialen Gerechtigkeit, dass der Einzelne einen angemessen Anteil seiner Arbeitsleistung behalten darf. Die heutige Gesamtbelastung in Form von Steuern und Abgaben hat gewaltige Dimensionen erreicht. Die Bürgerinnen und Bürger zahlen schließlich nicht nur Einkommenssteuer, sie zahlen auch Verbrauchssteuern und obendrein noch Sozialabgaben. Immer größer werdende Teile der Bevölkerung müssen so mehr als die Hälfte ihres Arbeitseinkommens abführen. Die Forderung der FDP nach Steuersenkungen ist daher auch die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

 

Steuern sind ein gravierender Eingriff in den persönlichen Besitz der Menschen. Deshalb muss die Frage nach Steuersenkungen immer wieder gestellt werden. Nicht nur Umverteilung ist Sozialpolitik, Steuersenkungen sind auch eine Form der Sozialpolitik und zwar gegenüber den Beschäftigten. Die FDP hat den Zusammenhang zwischen umverteilen einerseits und erwirtschaften andererseits fest im Blick. Die Forderung nach Steuersenkungen ist nicht unverantwortlich, sie ist eine finanz- und sozialpolitische Notwendigkeit.

 

Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einsetzen. Engagement für deren Interessen zeigt sich nicht in einem politischen Überbietungswettbewerb neuer sozialpolitischer Wohltaten, sondern in der Bereitschaft zur Entlastung. Bei vielen Beschäftigten ist diese Botschaft bereits angekommen. Die FDP im Deutschen Bundestag wird in der Regierung zeigen, dass sie an ihrem Kurs der konsequenten Entlastung der Bürgerinnen und Bürger festhält.